Ein fast vergessener, rassistischer Mord

Studierende der Freien Universität gedenken eines 1990 getöteten Kommilitonen

  • Paul Liszt
  • Lesedauer: 2 Min.

Als der damals 39-jährige Doktorand aus Pakistan am Abend des 7. Januars das Institutsgebäude für Biochemie in Lichterfelde verließ, beleidigte ihn ein Unbekannter rassistisch und schlug ihn nieder. Zwei Monate später erlag Mahmud Azhar seinen Verletzungen. Sein Schicksal ist in Vergessenheit geraten, auch an der Freien Universität (FU). Am vergangenen Samstag organisierten Studentenvertreter zum Jahrestag des Angriffes eine Mahnwache am Tatort.

Bei Schnee und knackigen Minusgraden stehen etwas mehr als ein Dutzend Menschen im Halbkreis vor dem verwaisten Gebäude am Ostpreußendamm. Die FU ist hier bereits Mitte der 1990er ausgezogen. Eine Firma, die Konferenzräume mit neuester Präsentationstechnik ausstattet, hat die Räume übernommen.

Gekommen sind neben den Studenten auch Mitglieder der Initiative, die sich für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş in Neukölln einsetzt, Mitarbeiterinnen der Opferberatungsstelle ReachOut und Vertreter einer Antifa-Gruppe, die sich in der Kurdistan-Solidarität engagiert.

Bei einem im Oktober organisierten Gedenkspaziergang waren nur vier Interessierte gekommen, erzählt Arne Ohlsen, der die Mahnwache organisiert hat. Eine E-Mail, die die Studentenvertreter vor drei Jahren erreicht hatte, brachte den Mord zurück ins Gedächtnis. Ohlsen begann, in den Akten des Universitätsarchivs zu recherchieren. 2014 erschien ein erster ausführlicher Artikel zu Azhars Tod in der Studentenzeitung.

Nachdem er geschlagen worden war, zog sich Azhar ins Gebäude zurück. Der Angreifer Thomas H. folgte ihm, schlug ihm einen Feuerlöscher gegen den Kopf. Zwei Mal hatte Azhar zu diesem Zeitpunkt bereits die Polizei gerufen, diese reagierte jedoch erst auf einen dritten Notruf eines vorbeifahrenden Taxifahrers. Azhar wehrte sich nicht. Er befürchtete, die Polizei könne ihm die Schuld geben und seine Ausreise veranlassen, zitiert Ohlsen aus dem Gesprächsprotokoll eines Arbeitskollegen, der Azhar am Krankenbett besuchte.

Im März 1990 verstarb Azhar an den unmittelbaren Folgen des Überfalls. Im Januar 1991 wurde eine Gedenktafel im Inneren des Institutsgebäudes angebracht. Als Inschrift trägt sie einen Auszug aus einer Koransure: »Und schaut, wie das Ende derer war, die Unheil stifteten!« Der DDR-Bürger Thomas H. hatte sich nach seiner Vernehmung nach Ostberlin abgesetzt, wo er zunächst unbehelligt blieb. Im Dezember 1990 wurde er schließlich nach zwei Prozesstagen zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Das Gericht konnte weder eine Tötungsabsicht noch Rassismus als Tatmotiv erkennen.

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