»Oh ja, wir hatten Glück«

Naum Butoto über das Leben in der bürgerkriegsgeplagten Demokratischen Republik Kongo

  • Naum Butoto*
  • Lesedauer: 6 Min.
Beratung und Unterstützung sind das Geschäft der Hilfsorganisation UGEAFI und ihres Direktors Naum Butoto.
Beratung und Unterstützung sind das Geschäft der Hilfsorganisation UGEAFI und ihres Direktors Naum Butoto.

Mein Name ist Naum Butoto und ich bin 53 Jahre alt. Ich lebe in Uvira in der Demokratischen Republik Kongo. Direkt an der Grenze zu Burundi am Tanganjikasee. Es ist vier Uhr morgens und stockdunkle Nacht. Wie jeden Morgen werde ich vom Krähen der Hähne aus der Nachbarschaft geweckt. Mit meiner Frau bereite ich das Frühstück. Es gibt Maniokbrot, Ananas, Papaya und natürlich eine gute Tasse Kaffee. Mit unseren vier Kindern essen wir zufrieden unser Frühstück, denn endlich herrscht wieder Frieden.

Jahrelang lebten wir in Angst und Schrecken. Bürgerkrieg bestimmte unser Leben. Nur weil die in der 2000 Kilometer entfernten Hauptstadt Kinshasa mal wieder um die Macht stritten. Immer wieder zogen Soldaten und Rebellengruppen durch unsere Dörfer, mordeten jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. Unsere Mädchen und Frauen wurden systematisch vergewaltigt und unsere Kinder zu Soldaten zwangsrekrutiert. Viele Frauen verloren ihre Männer und blieben als Kriegswitwen zurück. Oh ja, wir hatten Glück, meine Frau, unsere vier Kinder und ich.

Wir leben an der Grenze zu Burundi, wo der Bürgerkrieg gerade zu Ende war, und konnten fliehen. Freunde halfen uns dort und teilten ihre karge Wohnung und das bisschen Essen mit uns. Aber ich musste doch wieder hierhin zurück, um den Menschen zu helfen. Ich, der ich so viel Glück im Leben haben durfte.

Mein Vater wurde von Rebellen ermordet, als ich vier Jahre alt war. Er war Priester und Landwirt. Wir waren sieben Geschwister. Als mein Vater auf dem Feld war und nach dem Vieh schaute, kamen die Simba-Rebellen und ermordeten ihn.

Meine arme Mutter konnte uns kaum ernähren, doch sie unterstützte uns nach besten Kräften. Es war schließlich mein Großvater, der einige seiner Kühe verkaufte, um mich zur Schule und Universität zu schicken und mich studieren zu lassen. So wurde ich dank ihnen zu dem, der ich heute bin mit all den Möglichkeiten.

Nach der Unabhängigkeit 1960 war das Land in inneren Machtkämpfen zerrissen und wurde zum Spielball der Großmächte. Der überaus populäre erste Ministerpräsident Patrice Lumumba wurde mit Hilfe der CIA und des belgischen Geheimdienstes ermordet und der Diktator Mobutu an die Macht gebracht. Er regierte das Land mit eiserner Hand und wurde dabei zum Milliardär, gut geschützt von den westlichen Mächten USA und Frankreich. Bei Rebellenaufständen von einstigen Lumbumba-Anhängern, denen Che Guevara zur Hilfe kam, wurde mein Vater ermordet. Der UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld wollte noch vermittelnd eingreifen. Sein Flugzeug stürzte kurz vor der Landung ab. Der Verdacht einer Beteiligung der USA wurde nie ausgeräumt, ihr Auslandsgeheimdienst NSA verweigert Akteneinsicht.

Mobutu nannte das Land in Zaire um. Seine Gewaltherrschaft dauerte bis 1997 und wurde vom Weggefährten Ches, Laurent-Désiré Kabila, beendet. Dieser fiel 2001 einem Attentat zum Opfer, sein Sohn Joseph übernahm die Macht, die er bis heute inne hat und nicht abgeben will.

In der Folge von Kabilas Attentat zerstörten drei Bürgerkriege sämtliche Ressourcen des Landes und machten es zu einem der ärmsten der Erde. Die Kämpfe um die Rohstoffe in meiner Heimatregion Ostkongo endeten erst vor drei Jahren. Nun herrscht ein fragiler Friede.

Als Sohn meiner Heimat und unter dem Eindruck meiner Kindheit war es mir ein tiefes Anliegen, nach meinem Studium der Bevölkerung auf dem Lande zu helfen ihre Lebenssituation zu verbessern. Der harte Kampf meiner verwitweten Mutter lehrte mich, dass gerade die Frauen sich um das Wohl ihrer Familien kümmern, aber häufig von den Männern benachteiligt werden.

Ich war glücklich, als ich im Jahr 1998 zum Generaldirektor von UGEAFI, einer 1990 gegründeten Vereinigung landwirtschaftlicher Selbsthilfegruppen der Region Süd-Kivu, gewählt wurde. Endlich konnte ich meinen Traum verwirklichen, als gelernter Agronom der Bevölkerung meiner Heimatregion zu dienen. Die Aufgabe ist enorm und nur mit Hilfe von Freunden aus der ganzen Welt kann sie bewältigt werden. So lernte ich 2015 SODI kennen und durfte erfahren, dass es sie noch gibt, die Internationale Solidarität.

Es dämmert schon, sechs Uhr morgens ich muss los. Heute geht es nach Lemera, etwa 60 Kilometer nordwestlich von Uvira. Zum Glück haben wir bei UGEAFI einen Geländewagen. Die unbefestigte Straße wäre sonst nicht zu bewältigen, zwei Bäche müssen durchquert werden. Die Wege und Straßen werden vom Staat kaum unterhalten, der Krieg hat alles zerstört. Bald schon sehe ich die ersten Kaffeebäume.

Kaffee ist die einzige Möglichkeit für die Bäuerinnen und Bauern, zu etwas Einkommen zu gelangen. Mit der Subsistenzwirtschaft von Maniok oder Bananen können sie nicht das Schulgeld für die Kinder bezahlen oder bei Krankheit Medikamente kaufen.

In den unruhigen Zeiten wurde kein Kaffee angebaut, nun haben wir wieder damit begonnen, aber die Qualität muss noch besser werden, damit die Erlöse steigen.

Ganz wichtig ist die Zertifizierung unseres Kaffees und die Einbindung in das System des fairen Handels. Nächsten Monat werde ich wieder in Nairobi in Kenia vorsprechen, damit unser Kaffee zertifiziert wird. Das ist teuer und wäre ohne die Unterstützung von SODI gar nicht möglich.

Ich nähere mich Lemera, meinem Ziel. Da steht Gertrude Maguno, eine Kaffeebäuerin und Mutter von fünf Kindern. Sie erzählt mir von ihren Erfahrungen. Dank des Erlöses konnte sie schon fünf Kühe kaufen, die sich vermehrten, und nun hat sie schon zehn Kühe. »In unserer Kultur sind Kühe ganz wichtig«, so sagt sie, »denn in Notzeiten kann eine verkauft werden und damit Medikamente für die Kinder und vor allem Schulgeld bezahlt werden.«

Dank der Schulungen bei UGEAFI hat sie gelernt, ihre Anbauflächen besser zu bewirtschaften. Sie hat gelernt, wie der Kaffee besser und schonender weiterverarbeitet wird. Dank der Schälmaschinen trennt sie nicht mehr mit Steinen die Schale von den Bohnen. Die Qualität ihres Kaffees ist viel besser geworden. Mit Hilfe der Maschinen kann sie nun internationale Standards einhalten. Außerdem bekommt sie nun von UGEAFI aus eigenen Baumschulen bessere Kaffeesorten. Doch oft bekommt sie keinen guten Preis von den Aufkäufern. Nun hat sie in den Kursen bei UGEAFI von der Zertifizierung erfahren. Sie hofft, dass dies gelingen wird, und trägt ihren Teil dazu bei. Sie dankt SODI für die Unterstützung zur Zertifizierung. »Nur wenn wir gute Preise erzielen können, werden wir in der Lage sein, selbst Schulen zu bauen.«

Aber nur auf ein Produkt zu setzen ist riskant. Deshalb berät und unterstützt UGEAFI mit Hilfe von SODI die Bauern, um weitere Investitionen wie den Anbau von Bohnen und Bananen auf den Weg zu bringen. Der Preis von Bohnen hat sich plötzlich verdreifacht und UGEAFI hilft den bäuerlichen Familien, neben Kaffee auch Bohnen oder Bananen anzubauen durch Verteilung von Saatgut und Beratung zum Anbau.

Es wird Abend, ich muss zurück. Erst im August bin ich auf der Rückfahrt von einem Besuch bei den Kaffeeanbauern auf offener Straße von Bewaffneten überfallen worden. Ich wurde getreten und geschlagen und Geld, Computer und Telefone wurden geraubt. Dennoch, Erfolge wie bei Gertrude sind der Mühe Lohn.

Übersetzung: Elmar Frank, SODI

*Naum Butoto ist Generaldirektor von SODIs Partnerorganisation UGEAFI

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