Väter und Söhne
»Das Fest« vom Deutschen Theater Berlin
Als von Thomas Vinterberg auf der letztjährigen Berlinale »Die Kommune« gezeigt wurde, gab es starke Irritationen und erstaunlich viele Missfallensbekundungen. Wortmeldungen im Stile von Betroffenheit: Das war doch alles ganz anders, damals in unserer Kommune! So ist das, wenn die Kunst das Leben trifft, es tut öfter mal weh, wenn die lang gehüteten Tabus plötzlich zerstört werden und die einfachen Alternativen abhanden kommen. Familie ist die Hölle, Kommune das Paradies? Wer Wohngemeinschaften von heute kennt, die ausdrücklich keine Kommunen sein wollen, weiß, wie wenig man der Illusion eines herrschaftsfreien Zusammenlebens noch traut. Das ist mein Fach im Kühlschrank und nicht deins, lernt jeder WG-Novize, während der Kommune-Mensch sich mit solchen Kleinigkeiten natürlich nicht abgibt, ebenso wenig, wie: Das ist meine Freundin und meine Zahnbürste und nicht deine.
Das zum neuesten Stand in Sachen Vinterberg. Das Leben in der freiwilligen Ersatzfamilie namens Kommune sah fatal so aus wie in einer jeden x-beliebigen spießigen Kleinfamilie. Ein großartiger Film, der Weltbilder erschütterte.
Das Theater ist da ein bisschen langsamer und beutet immer noch Vinterbergs ersten wichtigen Tabubruch-Film aus, das ist allerdings schon fast zwanzig Jahre her. Da kam Vinterbergs »Das Fest« heraus - im Rahmen der dänischen »Dogma«-Autorenfilmgruppe, deren Ideal der »Film pur« war, ohne technische Zaubereien und nur mit Handkamera gedreht. Der Dogma-Aufbruch ist auch längst Geschichte, wenn auch ein aus heutiger Sicht merkwürdiger. Wenn man solche Filme, die ihre Wirkung aus einem unerhörten Ereignis beziehen, nun immer noch auf die Bühne hebt, als gäbe es keine guten Stücke für das Theater mehr und man müsste bloß noch Erfolgsromane und Filme nachspielen, dann möchte man den Dramaturgen und Regisseuren zurufen: Seid doch nicht so bequem und so denkfaul!
Nun also haben auch die Kammerspiele des Deutschen Theaters eine Adaption von »Das Fest« in der Regie von Anne Lenk - und man wird die Frage nicht los: Warum machen die das hier und heute? Vielleicht um das Zeitgeistmuster, das dem Film zugrunde lag, nun - im Wissen um Vinterbergs »Kommune« - aufzubrechen? Was hieße, den durchgängigen Anklagegestus nicht einfach bloß hinzunehmen, sondern selbst zu hinterfragen. Nein, so weit geht es denn doch nicht. Wohlwissend, dass neun von zehn Besuchern wissen, wovon »Das Fest« handelt, inszeniert Anne Lenk mit einer Treuherzigkeit, die an Publikumsverachtung grenzt. Wer es immer noch nicht weiß: In »Das Fest« versammelt sich die Familie (bei Vinterberg eine steif-konservative, bei Lenk eine vorgebliche liberale), um den sechzigsten Geburtstag des Hausvaters Helge zu feiern. Die Feier wird dank Sohn Christian zum Tribunal. Denn der nutzt die Gelegenheit einer Festrede, um den Vater in trockenen Sätze zu bezichtigen, dass er ihn als Kind immer wieder vergewaltigt habe und auch Schuld am Suizid einer seiner Schwestern sei.
Der Angesprochene und die anwesende übrige Familie tun so, als hätten sie nichts gehört, man versucht noch eine Weile, den schönen Schein von heiler Welt aufrecht zu erhalten - dann fliegt alles auseinander, es bleiben üble gegenseitigen Anschuldigungen. Wo Liebe sein sollte, ist bloßer Hass. Jetzt könnte man naiv sagen, da reißt der Sohn dem bigotten Vater (und der stillschweigend den Missbrauch duldenden Mutter) die Maske der Rechtschaffenheit herunter. So waren auch die ersten Reaktionen auf den Film damals. Aber heute? Will man das Tribunal aus der Perspektive eines sich plötzlich als Opfer outenden Sohns so ganz und gar ohne jede Nachfrage hinnehmen?
Ist der Vater das Monster, als das er plötzlich dasteht, oder hat sich der Sohn in einen Vaterhass hineingesteigert, will er ihn vernichten? Ist er wegen des ihm angetanen Missbrauchs gestört - oder der Missbrauch eine Phantasmagorie, ein Produkt seiner Störung?
Regisseurin Anne Lenk inszeniert »Das Fest« kampagnenkonform - und das ist dann sehr ausrechenbar, weil eindimensional gedacht. Das, was bei Vinterberg mit kalter Präzision beobachtet war (nicht kommentiert oder beurteilt, das macht seine filmische Meisterschaft aus), kommt hier daher als missglücktes Mitmachtheater. Die Zuschauer sitzen mit auf Bühne, sind Teil der Szenerie. Jedem, der herein kommt, wird ein Glas Sekt in die Hand gedrückt, samt Instruktionen von »Toastmaster« Helmut (wie seine eigene Karikatur: Bernd Moss) wie wir alle gleich Helge, den Jubilar begrüßen sollen, mit fröhlichen Liedern, Hochrufen und erhobenem Sektglas zum Anstoßen. Helge, der mutmaßliche Schänder seiner Kinder und wir anfangs mit hochrufendes Publikum sollen uns dann sehr schnell schämen, wenn die Anschuldigungen über ihn ausgegossen werden. Ein grandioser Regieeinfall, der so originell ist, als würde man uns dazu verführen wollen, Hochrufe auf Adolf Hitler anzustimmen, weil der den Autobahnbau revolutioniert habe und wir müssten dann schockiert erfahren, dass er noch ganz andere Dinge getan hat. Das Publikum als dumm zu behandeln (zu instrumentalisieren!), ist fatal - vor allem für das Niveau eines Theaters.
Jörg Pose als Helge kann einem leid tun, ebenso wie Barbara Schnitzler als Ehefrau Else - so wenig Spielraum ist selten. Alexander Khuon als anklagender Sohn Christian könnte in seiner Rolle durchaus überzeugend sein, ebenso wie Franziska Machens als seine Jugendfreundin Pia - in einer anderen Inszenierung. Intendant und Vater Ulrich Khuon sitzt im Publikum, ebenso wie Kultursenator Klaus Lederer - beide werden sich Gedanken über die in Kürze zu entscheidende Zukunft des Deutschen Theaters gemacht haben.
Das hochpsychologische Thema von »Das Fest« gilt es jedoch als Generationen-Versuchsanordnung ebenso zu bedenken wie als Form der sexuellen Perversion. Bei Sigmund Freud in »Das Unbehagen der Kultur« lesen wir: »Was am Vater begonnen wurde, vollendet sich an der Masse.« Ja, es geht um Handlungen und um Hysterien, die mit diesen verknüpft sind und die die Tendenz zur Massenwirksamkeit in sich bergen. Eine Gemengelage verschiedenster Motive, die man für das Theater nicht simpel auf moralische oder juristische Fragen reduzieren sollte. In der Tragödie sind alle schuldig, das unterscheidet diese von einem schlagzeilentauglichen Fall für die Justiz. Film-Regisseur Vinterberg entwickelte mit »Das Fest« eine eigene Ästhetik, seelische Verletzung transparent zu machen. DT-Regisseurin Anne Lenk reduziert dies auf eine Ästhetik des Nachspielens, in der hier und jetzt auf der Bühne nichts eigenes entsteht.
Nächste Vorstellungen: 21.1., 12.2.
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