Deutschland vor!
Andreas Koristka glaubt, dass Merkel sich nicht ewig davor drücken kann, die Welt anzuführen
Die Welt ist aus den Fugen geraten. Wer die Entwicklungen der letzten Monate wegen wichtiger Termine verpasst hat, dem sei hier noch mal eine Zusammenfassung gegeben: Wladimir Putin gelangte in den Besitz von kompromittierendem Videomaterial, das Donald Trump zeigt. Damit erpresste er den amerikanischen Milliardär. Weil Trump fürchtete, er könnte seinen guten Ruf als Muschigrapscher, Rassist und gemeingefährlicher Psychopath verlieren (wahrscheinlich zeigt ihn Putins Video beim Ausfüllen einer grundsoliden Steuererklärung), sah er sich von Russland gezwungen, die US-Präsidentenwahl gegen den erklärten Willen der deutschen Presse zu gewinnen. Die Leidtragenden sind das amerikanische Volk, Angela Merkel und mit ihr ganz Deutschland. Denn letztgenannte sind nun die einzig verbliebene Bastion der westlichen Werte, der Zivilisation und des Kartoffelsuppenrezepts von Joachim Sauers Mutter.
Aber der letzte Pfeil im Köcher der Demokratie hat ein Problem: Zwar ist Deutschland endgeil, allerdings auch unfassbar bescheiden. Niemals würden wir Deutschen nach allem, was war und woraus wir so gut gelernt haben mit Schandmal und allem Pipapo, den Führungsanspruch der freien Welt für uns reklamieren. Der muss schon an uns herangetragen werden! Zum Beispiel von der US-amerikanischen und britischen Presse. In der »Financial Times« hieß es bereits, dass Merkel die Führung der liberalen westlichen Welt von Obama übernehmen solle, und die »New York Times« bezeichnete Merkel als letzte »Verteidigerin des freien Westens«. Der »Welt«-Autor, der diese Zitate genüsslich zitierte, hatte dabei wahrscheinlich schon einen kleinen Lustfleck auf dem Globus.
Noch ziert sich Merkel bezüglich ihres Führungsanspruchs wie eine Dirne in der Großen Freiheit: Als »grotesk und absurd« bezeichnete sie Überlegungen, nach denen sie den Freiheitskampf leiten soll. Deutschland hat wegen seiner besonderen Geschichte nämlich schlechte Erfahrungen mit dem Führen der Welt. Rund 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gibt man sich nicht ohne Grund mit dem Weltmeistertitel im Fußball und der absoluten Unterjochung Griechenlands zufrieden.
Aber wenn die Stimmen im Ausland lauter werden? Wird sich Deutschland ewig zurückhalten können? Sollten wir nicht einsehen, dass wir neben unserer vorbildlichen Mülltrennung dem Planeten auch führungsmäßig viel Gutes tun könnten? Irgendwann werden wir uns unserer Verantwortung stellen müssen. Es ist ja sowieso ein schwer vermittelbarer Anachronismus, dass ausgerechnet das Land, dessen emsige Ingenieure die Atombombe erfanden, bis heute über eine derartige Waffe nicht verfügt. Das findet auch Berthold Kohler von der »FAZ« und und stellt deshalb folgerichtig die Frage nach einer eigenen deutschen »nuklearen Abschreckungsfähigkeit, welche die Zweifel an Amerikas Garantien ausgleichen könnte«. Denn die »französischen und britischen Arsenale sind dafür in ihrem gegenwärtigen Zustand zu schwach«.
Allerdings macht es sich Kohler mit der bloßen Forderung nach Atomwaffen ein bisschen einfach. Denn wenn wir die Bombe endlich haben, kommt eine viel wichtigere Frage auf Deutschland zu: Gegen wen wollen wir sie einsetzen? Sicherlich, die Niederlande bieten sich zu Testzwecken an, falls Wilders die Wahl gewinnt. Aber was kommt danach? Erdogans Türkei? Salafistische Moscheen in NRW? Die Grünen, die ständig die Arbeit unserer fantastischen Polizeibeamten beleidigen?
Aber wer, wenn nicht das Land der Dichter und Denker und Günther Oettingers, die wirtschaftliche Supermacht mit der Vorrangstellung in Europa, wird diese Fragen zu beantworten wissen?! Wir werden demokratisch, unter Berücksichtigung unserer aller Grundwerte ausfechten, wen wir künftig auslöschen möchten. Und wenn das Grundgesetz explizit einen atomaren Erstschlag gegen ausländische Nutzer deutscher Autobahnen ausschließt, wird das Verkehrsministerium trotzdem einen Weg finden. Jedenfalls, solange es von der CSU geführt wird.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.