Warum das Einreiseverbot Nahost besonders trifft

Die Beschränkung der Trump-Regierung kann Hunderttausende Israelis treffen - muss aber nicht

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Mosche Masus ist ein Israeli wie aus dem Bilderbuch: Militärdienst, natürlich, eigenes Haus in der Vorstadt von Tel Aviv. »Ich war ein Jahr alt, als meine Familie und ich 1980 aus Iran nach Israel gezogen sind«, sagt er. »Nachgedacht habe ich darüber nie.« Bis am Wochenende die Nachricht vom US-Einreisestopp Israel erreichte, und ein gern vergessenes Detail plötzlich brandaktuell wurde: Viele Israelis könnten noch die Staatsbürgerschaft ihrer Herkunftsländer besitzen. Sie sind damit potentiell vom Erlass des neuen US-Präsidenten Donald Trump betroffen.

Sie »könnten« betroffen sein, weil derzeit niemand nichts genaues weiß. »Gemessen am Wortlaut der Anordnung des Präsidenten ist es durchaus möglich, dass Juden, die in einem der betroffenen Länder geboren sind, genau genommen unter das Einreiseverbot fallen«, sagt ein Sprecher der US-Botschaft in Tel Aviv.

Dem israelischen Innenministerium zufolge leben in Israel heute gut 1,2 Millionen Menschen, die in Jemen, in Syrien, Libyen, Irak oder Iran geboren sind. In den meisten Fällen war die sogenannte Aliyah, also die Ausreise der Juden aus diesen Ländern, eine geheimdienstähnliche Operation unter schwierigsten Bedingungen: »Es würde mich sehr wundern, wenn jemand vorher zu den Behörden gegangen wäre, um seine Staatsbürgerschaft aufzugeben«, sagt Menachem Goldmann vom Einwanderungsministerium.

So diskutieren Israelis wie Mosche Masus, der in dieser Woche in die USA reisen wollte, darüber, was der Einreisestopp für sie bedeuten könnte: Werden die US-Einreisebehörden strikt vorgehen? Macht es Sinn, einen Visaantrag zu stellen? Das sind Fragen, die auch das US-Außenministerium, das Ministerium für Homeland Security und der US-Grenzschutz nicht beantworten können. Man sei sich der Komplexitäten bewusst, heißt es, man müsse den Erlass umsetzen, solange Politik oder Justiz nichts anderes sagen. Es könne passieren, dass ein Visaantrag abgelehnt werde, wenn ein Antragsteller in einem der betroffenen Länder geboren sei und nicht nachweisen könne, dass er die Staatsbürgerschaft aufgegeben habe, heißt es beim US-Außenministerium.

Denn im umfangreichen US-Visaantragsformular werden neben dem eigenen Geburtsort auch Name und Herkunft der Eltern abgefragt. Außerdem wird nach den derzeitigen und möglicherweise in der Vergangenheit aufgegebenen Staatsbürgerschaften gefragt. Unrichtige Angaben sind nach US-Gesetz eine Straftat, die ihrerseits schon zu einer Ausweisung führen könne. Gleichzeitig ist die Einschätzung, ob man Staatsbürger des Herkunftslandes war oder noch ist, schwierig bis unmöglich. So entlassen Iran und Jemen nach dem dort heute geltenden Gesetz grundsätzlich nicht aus der Staatsbürgerschaft. Aber das war nicht immer so.

Vor der Revolution in Iran wurden Dissidenten und Leute, die dem Land dauerhaft den Rücken kehrten, zu Tausenden ausgebürgert. Erst 1985 wurde das Gesetz in der heutigen Form geschaffen. In Jemen, in Irak und Syrien indes wurde im Laufe der Jahrzehnte bei einigen Auswanderungswellen von Juden nach Israel den Betroffenen die Staatsbürgerschaft entzogen und der zurückgelassene Besitz konfisziert, bei anderen aber wiederum nicht.

Man kann also weder bei israelischen Juden noch bei Deutschen mit Wurzeln in diesen Ländern standardmäßig sagen, dass sie noch Staatsbürger dieser Länder sind. In jedem Fall wäre eine Einzelfallprüfung notwendig, nachdem zunächst einmal geklärt wurde, was in den entsprechenden Ländern jeweils Gesetz war.

»Der Erlass des Präsidenten kam dermaßen abrupt, dass niemand die Möglichkeit hatte, sich auf die Details vorzubereiten«, heißt es beim Ministerium für Homeland Security. Und das US-Außenministerium erklärt, man bemühe sich, Experten zu finden, die sich mit den juristischen Gegebenheiten auskennen. Gleichzeitig gesteht man ein: Solche Leute gebe es nur in den Ländern selbst. Eine Zusammenarbeit sei kaum zu erwarten.

Rein rechtlich gesehen müssen die US-Beamten den Erlass eins zu eins umsetzen, sind dabei aber mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Selbst wenn ein Konsularbeamter einen Visaantrag genehmigt, kann der Geburtsort im Pass dazu führen, dass die Grenzbeamte einen Reisenden als Staatsbürger des Geburtslandes einstufen. Selbst wenn sie damit unrecht haben. Das wäre der Beginn eines teuren Rechtsstreits.

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