Wagenknecht: Merkel darf Erdogans Kurs nicht unterstützen

Kanzlerin reist in die Türkei / SPD, LINKE und Grüne mahnen Kritik an den Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit an / Kofler: Menschenrechte müssen eine große Rolle spielen

  • Lesedauer: 4 Min.

Update: Menschenrechtsbeauftragte fordert von Merkel »Klartext«
Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), hat von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei deren Türkei-Besuch ein entschiedenes Auftreten gefordert. Es müsse »Klartext gesprochen werden über die Verletzung von Menschenrechten«, sagte Kofler am Donnerstag im Bayerischen Rundfunk. Das Thema müsse »eine große Rolle spielen«.

Große Sorge bereitet der Menschenrechtsbeauftragten das anstehende Verfassungsreferendum, mit dem Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Macht weiter ausbauen will. Kofler hat »große Zweifel«, dass eine faire Debatte im Vorfeld des Referendums überhaupt geführt werden könne. Viele Menschen könnten ihre Meinung nicht mehr frei äußern, viele kritische Journalisten seien verhaftet worden oder »ihrer öffentlichen Stimme beraubt«.

Wagenknecht: Merkel darf Erdogans Kurs nicht unterstützen

Berlin. Kanzlerin Angela Merkel sollte bei ihrem Türkei-Besuch dringend Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit anprangern – mahnen LINKE, Grüne und SPD dringend an. Merkel hofiere mit ihrer Reise den »islamistischen Autokraten Erdogan«, von dem »allgemein bekannt sei«, dass er Islamisten und Terrormilizen weltweit unterstütze und finanziere, warnte etwa die LINKE-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Merkel müsse deutlich machen, dass sie Erdogans Kurs hin zu einer Diktatur nicht unterstütze, sagte sie der »Rheinischen Post«.

Ähnlich scharfe Worte fand LINKE-Vorsitzender Bernd Riexinger am Mittwoch. »Merkel lässt sich von #Erdogan als Wahlkampfhilfe einspannen«, warf er der Kanzlerin auf Twitter vor.

Auch der designierte SPD-Vorsitzende Martin Schulz forderte eine klare Haltung gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan an. »Deutschland muss dem NATO-Partner klar sagen: Wir beharren auf Rechtsstaatlichkeit in der Türkei, auf faire Verfahren, Pressefreiheit und die Wahrung der Grundrechte«, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag).

Merkel reist an diesem Donnerstag zum ersten Mal nach dem Putschversuch im Sommer zu politischen Gesprächen nach Ankara. Bei ihren Treffen mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim will sie unter anderem Fortschritte für das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei erzielen. Auch die Freiheitsrechte und deren Einschränkungen sollen ein Thema sein.

Schulz sagte, die Türkei sei zwar das Land, das die meisten Flüchtlinge aufnehme. »Aber das kann keine Rechtfertigung für die bedenklichen rechtsstaatlichen Entwicklungen sein.«

Grüne: Türkei ist dabei, per Referendum die Demokratie abzuschaffen

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) warnte, das türkische Parlament sei dabei, sich selbst und die Demokratie abzuschaffen. »Es hat grünes Licht gegeben für ein Referendum in diesem Frühjahr, mit dem Erdogan die Türkei zu einer Diktatur umbauen will. Das wäre das Ende der parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaates in der Türkei«, sagte sie der »Passauer Neuen Presse« (Donnerstag). Merkel müsse bei diesem Besuch auch Oppositionelle treffen. Bei ihren letzten Reisen habe sie nur Erdogan und Regierungsvertreter getroffen.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte dem Blatt: »Die Kanzlerin sollte die Differenzen beim Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und im Umgang mit Minderheiten wahrnehmbar ansprechen.« Sie dürfe die dramatische Entwicklung nicht ignorieren und verschweigen.

Selbst Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) äußerte sich besorgt. »Die Entwicklung der demokratischen Verhältnisse, der Umgang mit der Justiz gibt Anlass zur Sorge«, sagte der CDU-Politiker der »Passauer Neuen Presse«.

Seit Juli 2016 sind in der Türkei Zehntausende Menschen entlassen oder verhaftet und die Medien stark eingeschränkt worden. Amnesty International in Istanbul berichtete jüngst, inzwischen seien beinahe 400 Nichtregierungsorganisationen dauerhaft geschlossen worden, fast ein Drittel der weltweit inhaftierten Journalisten befänden sich nun in der Türkei in Haft.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist seit langem angespannt. Erdogan wirft deutschen Politikern unter anderem vor, nach dem Putschversuch, für den er den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht, zu wenig Solidarität gezeigt zu haben. Erdogan bemängelt außerdem, dass die Bundesregierung nicht gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Gülen-Bewegung in Deutschland vorgehe.

Im Streit um die Visafreiheit für Türken bei EU-Reisen hat er mit der Aufkündigung des Flüchtlingspaktes mit der EU gedroht, zu dessen Architekten Merkel zählt. dpa/nd

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