Von der Bahn gabs nur einen Brief

Ein Jahr nach dem schweren Zugunglück von Bad Aibling fühlen sich Betroffene missachtet

  • Paul Winterer, Bad Aibling
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bilder wollen einfach nicht aus dem Kopf: Zwei total ineinander verkeilte Züge, in den Waggons Tote und Dutzende Verletzte, überall Blut, um Hilfe schreiende Menschen. Wolfram Höfler wird sein Leben lang auch nicht vergessen, dass selbst Stunden nach der Bergung noch Handys von Toten in Leichensäcken läuteten. Der 63-Jährige leitete den Einsatz der Feuerwehr beim verheerenden Zugunglück vom 9. Februar 2016 in Bad Aibling.

Beim Zusammenstoß zweier Züge starben vor einem Jahr zwölf Menschen, 89 Insassen wurden teils lebensgefährlich verletzt. Vor zwei Monaten verurteilte das Landgericht Traunstein den zuständigen Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn wegen fahrlässiger Tötung zu dreieinhalb Jahren Haft. Der Mann hatte - vom verbotenen Handyspielen abgelenkt - Signale falsch gestellt. Mit einer schlichten Andacht an der Gedenkstätte nahe der Unfallstelle wird zum Jahrestag am Donnerstag an die Katastrophe erinnert.

Erst kürzlich stand Höfler - inzwischen im Ruhestand - wieder an jener Stelle, wo am Morgen des Faschingsdienstags 2016 die beiden Meridian-Züge zusammenkrachten. »Ich hatte ein mulmiges Gefühl«, sagt der Ex-Feuerwehrkommandant mit über 40-jähriger Berufserfahrung. Mit allen auch noch so schlimmen Einsätzen hat Höfler gedanklich abgeschlossen, sobald der Schutzhelm im Feuerwehrhaus am Haken hing. Doch im Fall des Zugunglücks »bekomme ich einen wirklichen Abschluss nicht hin«.

Das liegt auch daran, dass Höfler inzwischen von Hamburg bis Bozen an die 45 Vorträge über den viel gerühmten Einsatz der Helfer gehalten hat. Vor wenigen Tagen erhielt die Feuerwehr des oberbayerischen Kurortes Bad Aibling den Conrad-Dietrich-Magirus-Preis, der außergewöhnliche Leistungen von Helfern würdigt.

Angehörige von Todesopfern und Verletzte haben dagegen nur wenig Aufmerksamkeit bekommen - jedenfalls von der Deutschen Bahn. Von dort erhielten sie lediglich ein Schreiben, in dem der staatseigene Konzern sein Bedauern über das Unglück ausdrückt. Friedrich Schweikert, der 19 Hinterbliebene und Verletzte vertritt, beißt mit seinen Anfragen zu einem Schuldeingeständnis bei der Bahn auf Granit. »Das stört die Opfer ungemein.«

Dabei wollten die Angehörigen und Verletzten sich keineswegs an dem Leid finanziell bereichern, versichert Schweikert. »Ihnen geht es in erster Linie darum, dass jemand von der Bahn sich hinstellt und Verantwortung übernimmt.« Die Höhe von Schadenersatzzahlungen stehe für sie nicht im Vordergrund.

Überhaupt missfällt dem Rechtsanwalt, dass im Strafprozess allein das schuldhafte Verhalten des Fahrdienstleiters eine Rolle gespielt habe. Dabei habe es die Bahn über 30 Jahre versäumt, die Strecke wie vorgeschrieben mit moderner Signaltechnik auszustatten. Es gibt jedoch die Einschränkung, dass sie dies nur im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten tun musste. Auf der eingleisigen Linie von Rosenheim nach Holzkirchen sei der Bahn moderne Signaltechnik offenbar nichts wert gewesen, so der Vorwurf des Opfer-Anwalts. Dabei hätte mit besserer Technik nach Überzeugung von Schweikert der Zusammenstoß wahrscheinlich verhindert werden können.

Zur Höhe von Schmerzensgeldzahlungen äußern sich weder die Deutsche Bahn als Netzbetreiber noch die Bayerische Oberlandbahn (BOB), deren Züge auf der Strecke verkehren. Nur so viel: Die Federführung bei der Schadensregulierung der Opfer und Hinterbliebenen liege im Fall des Zugunglückes von Bad Aibling bei der BOB. Darauf hätten sich DB und BOB mit ihren Versicherungsunternehmen bereits unmittelbar nach dem Unglück verständigt, sagte ein Bahnsprecher.

Zur ökumenischen Andacht am Abend des Jahrestags wird neben der Stadtspitze und Opfern auch Ex-Feuerwehrchef Höfler kommen. Seine Kameraden werden schon am Morgen an die Katastrophe erinnert, deren schreckliche Bilder viele von ihnen ihr Leben lang begleiten dürften. Exakt zu der Minute, als die Züge vor einem Jahr zusammenstießen, bekommen die Helfer eine Textnachricht auf ihre Handys, wie Höfler weiß: »Es ist unser Gedenkalarm.« dpa/nd

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