Identitäre zwischen Müsli und Erdbeerkuchen
Gemeinsames Zentrum von Bund und Ländern fahndet nach rechter Hetze im Netz
Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter sind beliebte Kanäle, um Nachrichten und eigene Ansichten zu verbreiten. Zunehmend werden so aber auch Fake News, also verfälschte oder gänzlich erdachte Nachrichten, verbreitet. Zudem nutzen viele Rechtsradikale die überwiegend US-amerikanischen Dienste, um die eigene Hetze zu verbreiten. Eine Art Seismograph für diese Entwicklung ist die Online-Beschwerdestelle des gemeinsamen Kompetenzzentrums von Bund und Ländern für den Jugendschutz im Internet. Das Zentrum firmiert unter seiner Webadresse als jugendschutz.net und nimmt dort Bürgerhinweise zu jugendgefährdenden, rassistischen sowie volksverhetzenden Inhalten im Netz auf. In den vergangenen zwei Jahren habe sich die Zahl der Hinweise über die Beschwerdestelle verdoppelt, erklärte der Vize-Chef von jugendschutz.net, Stefan Glaser, am Dienstag in Berlin. Zählte man 2014 noch 908 Tipps, seien es 2016 fast 1800 gewesen, unterstrich Glaser bei der Vorstellung der Jahresbilanz von jugendschutz.net.
Zwar galt nicht jeder Hinweis einem rechten Hetzer. Doch von den 1678 Verstößen gegen den Jugendschutz, die das Zentrum in sozialen Netzwerken registrierte, erkannte man bei mehr als der Hälfte volksverhetzende Inhalte. In einem weiteren Viertel der Fälle habe man strafbare rechtsextreme Symbole erkannt. 94 Prozent betrafen Facebook, Youtube und Twitter. In über 80 Prozent der Fälle sei es gelungen, über eine Kontaktaufnahme zum Anbieter die Inhalte zu entfernen oder für den Zugriff aus Deutschland sperren zu lassen. Rund drei Prozent der Inhalte waren so brisant, dass man sie gleich den Strafverfolgern oder der Medienaufsicht weitergeleitet habe, so Glaser.
Insgesamt prüfte jugendschutz.net im vergangenen Jahr fast 53 000 rechtsextreme Web-Angebote, darunter Videos, Kommentare, Profile und Webseiten. Nicht immer seien Inhalte eindeutig strafbar. So würden viele Akteure mittlerweile darauf achten, keine Rechtsverletzungen zu begehen, also auf subtile Propaganda ausweichen, so Glaser. Die sogenannte Identitäre Bewegung verpacke ihre Propaganda in Hip-Hop-Songs. »Oder es tauchen bei Facebook Naziparolen zwischen Fotos von Erdbeerkuchen und Müsli auf«, unterstrich Glaser.
Doch wie kontaktiert jugendschutz.net beispielsweise Facebook? Der US-amerikanische Konzern ist bekannt für seine Intransparenz und Nicht-Erreichbarkeit. Selbst für Journalisten ist es schwer, an Informationen zu kommen. Eine telefonisch erreichbare Pressestelle unterhält der Konzern in Deutschland nicht, obwohl hier 29 Millionen Menschen bei Facebook aktiv sind. Eine entsprechende nd-Anfrage bei Facebook - natürlich nur unter einer Mailadresse erreichbar - blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Normale Nutzer können vermeintlich illegale Inhalte mit Hilfe eines Buttons melden. Für die Bearbeitung dieser Meldungen hat Facebook die Bertelsmann-Tochter Arvato angeheuert. Recherchen der »Süddeutschen Zeitung« hatten im Dezember 2016 ergeben, dass die illegalen Inhalte »von kaum ausgebildeten und teilweise traumatisierten Mitarbeitern« geprüft würden. Die Zeitung zitierte den Würzburger Anwalt Chan-jo Jun: »Die Mitarbeiter dürfen illegale Inhalte nicht löschen, wenn sie von Facebook erwünscht sind. Das gilt zum Beispiel für Gewaltdarstellungen, Hetze außerhalb geschützter Gruppen und Verleumdungen.«
Denn Inhalte werden nur gelöscht, wenn sie gegen die eigenen Community-Standards verstoßen. Deutsche Gesetze sind den Kaliforniern dabei egal. Wen also kontaktiert jugendschutz.net und auf welcher Grundlage prüft man - auf Basis deutscher Gesetze oder der Facebook-Standards?
Murat Özkilic, Leiter der Stabsstelle Kommunikation von jugendschutz.net, betonte gegenüber »nd«, man wende sich an den »support von Facebook« und prüfe »auf Grundlage deutscher Jugendschutzregelungen«. Nur gelten diese eben nicht im Facebook-Universum.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.