Polizeigewalt in Frankreich: Die Angst vor der Front National

Linke wie rechte Regierungen versäumten es, klare Regeln für Ordnungshüter aufzustellen / Nun erreichen die Proteste auch Paris

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Nacht zum Donnerstag haben die Proteste gegen die Polizeigewalt Paris erreicht. 400 Menschen gingen auf die Straße, dabei ei kam es auch zu Ausschreitungen. Einige Demonstranten zündeten Müllbehälter an und warfen Flaschen auf Polizisten, die ihrerseits Tränengas einsetzten. Knapp zwei Wochen nach den Übergriffen von Polizisten bei der Festnahme des 22-Jährigen Théo in Aulnay-sous-Bois bei Paris erreichten die Proteste nun die Hauptstadt. Auch in anderen Städten des Landes gab es Demonstrationen. In Rouen in der Normandie wurden 21 Menschen vorläufig festgenommen, berichtete die Nachrichtenagentur AFP. In Lille gingen 500 Demonstranten auf die Straße.

Die anhaltenden Protestdemonstrationen rücken einmal mehr die Rolle der Polizei in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Über den Fall Théo, der von vier Polizisten misshandelt und verletzt wurde, sagte dieser Tage treffend der offizielle »Verteidiger der Rechte«, Ex-Minister Jacques Toubon: »Das war kein geringfügiger Zwischenfall, sondern zeigt schlaglichtartig den Zustand unserer Gesellschaft.« Es stünden sich seit 40 Jahren Teile der Polizei und der Bevölkerung gegenüber, und das Ergebnis sei eine Vielzahl mehr oder weniger großer Tragödien, so Toubon. Dabei würden sich viele leicht vermeiden lassen.

Als Beispiel führte er die »récépissé« genannte Bescheinigung an, die einer Person nach einer Personenkontrolle durch die Polizei ausgestellt werden und sie vor weiteren Kontrollen am selben Tag bewahren soll. Diesen Vorschlag von Bürgervereinen hatte François Hollande vor der Präsidentschaftswahl 2012 in die Liste seine Wahlversprechen aufgenommen. Doch sein Innenminister Manuel Valls legte das Projekt noch im selben Jahr zu den Akten, weil sich die fast durchweg stramm rechten Polizeigewerkschaften vehement dagegen gesträubt hatten.

Ähnlich war es schon dem Vorhaben ergangen, die Polizisten mit Namenschildern auf der Uniform auszustatten. Den Polizisten drohten dadurch gezielte Racheakte, hatten deren Gewerkschaften argumentiert. Dabei sind die zahlreichen, willkürlichen und als Provokation empfundenen Personenkontrollen, die achtmal mehr schwarze oder arabisch aussehende Jugendliche als Weiße treffen, ein ewiger Anlass von Konflikten. Der kleinste Widerspruch kann dabei zur Verhaftung, zu Prügel in Polizeigewahrsam und zu einer Anzeige wegen »Rebellion« und »Widerstand gegen die Staatsgewalt« führen.

»Es fehlt seit Jahrzehnten eine klare und konsequente Politik, die den Einsatz der Polizei lenkt und regelt«, beklagt der Soziologe Christian Mouhanna, Direktor des Rechtswissenschaftlichen Instituts CESDIP. »Rechte wie linke Regierungen standen und stehen den Polizisten in verkrampfter Starre gegenüber.« Die Politiker fürchteten, die Ordnungshüter zu verärgern oder zu verprellen und so in die Arme der rechtsextremen Front National zu treiben. Diese sei unter den Polizisten schon heute die mit Abstand meistgewählte Partei, betonte der Wissenschaftler.

Reformversuche sind meist schnell gescheitert. So wurde die unter dem linken Premier Jospin 1997 eingeführte »Nachbarschaftspolizei«, die in Problemvierteln Konflikte lösen und Vertrauen aufbauen sollte, 2003 vom rechten Innenminister Sarkozy wieder abgeschafft. Es sei nicht »Aufgabe der Polizisten, mit Jugendlichen Fußball zu spielen, sondern Verbrecher zu fangen«, tönte Sarkozy.

So bleibt es bei den üblichen Konfrontationen und Ungerechtigkeiten. Wenn Polizisten Opfer von Anschlägen sind, beeilen sich die Politiker, ihnen beizustehen und ihren Einsatz zu würdigen. Wenn dagegen ein friedlich demonstrierender Staudammgegner durch eine Polizeigranate ums Leben kommt wie 2014 im südwestfranzösischen Sirvens, dann wird zunächst die Schuld beim Opfer gesucht und die Polizei in Schutz genommen, bis unwiderlegbare Beweise vorliegen. »Solche Beispiele gibt es zuhauf«, erklärt der Polizeireporter Sebastian Roché. Unter Hollande sei das fast noch schlimmer als vorher unter den Rechten gewesen, meint er. Der Grund: Hollande und seine Innenminister Valls und Cazeneuve wollten durch hartes Durchgreifen den Vorwurf entkräften, die Linke sei prinzipiell blauäugig und unentschlossen.

Als vor einigen Wochen in einem Pariser Vorort zwei Polizeiautos von kriminellen Jugendbanden in Brand gesetzt und dabei auch mehrere Polizisten verletzt wurden, löste das eine Welle von Demonstrationen und anderen Protestaktionen von Polizisten aus. Sie wurden von deren Gewerkschaften organisiert, und oftmals waren rassistische und jugendfeindliche Losungen zu hören, wie man sie sonst nur von der Front National kennt. »Statt gleichermaßen die Gewalt gegen die Polizisten wie auch deren Ausfälle scharf zu kritisieren, ist die Regierung einmal mehr eingeknickt und hat den Polizisten pauschal ihr Vertrauen und ihre Verbundenheit versichert«, lautet Rochés Fazit. Alles gehe so weiter wie bisher.

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