Verkehrswende ist «harter Ritt»
Autofahrer und Wirtschaftsverbände halten nicht viel von einer stärkeren Förderung des Radverkehrs in Berlin
Da draußen tobt ein Straßenkrieg«, glaubt Heinrich Strößenreuther. Jüngst schilderte der Unternehmensberater in einem Zeitungsbeitrag, wie der Alltag für Fahrradfahrer wie ihn in Berlin aussieht. Von einem Lastwagen war da die Rede, der an einer Kreuzung weit auf der Fahrradspur stand. Der Radler klopfte aus Protest gegen die Beifahrertür, worauf der Lkw-Fahrer versucht habe, ihm mit seinem tonnenschweren Gefährt den Weg abzuschneiden. Zum Glück habe er noch reagieren können, so der 49-Jährige. Wieder einmal sei er dem Tod von der Schippe gesprungen: »So knapp war es noch nie.«
Nun ist Strößenreuther nicht irgendein Radfahrer in der Hauptstadt. Er steht an der Spitze einer Initiative, die sich für mehr und sicherere Rad-Infrastruktur einsetzt. Im Vorjahr bekam sie im Zuge eines Volksbegehrens innerhalb weniger Wochen rund 100 000 Unterschriften dafür zusammen. Doch seine - vielleicht besonders krassen - Schilderungen stehen beispielhaft für Konflikte in einem dichter werdenden Verkehrsraum. Der neue rot-rot-grüne Senat will sie nun mit teils radikalen und polarisierenden Ansätzen auflösen.
Eine »ökologische Verkehrswende« hat sich das Dreierbündnis auf die Fahnen geschrieben. »Und wir meinen es ernst damit«, betonen die von den Grünen in den Senat entsandte Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos) sowie ihr Staatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne). Gut 200 Millionen Euro wollen sie bis 2020 in die Hand nehmen, um das Netz von Fahrradwegen in der Metropole massiv auszubauen, Stellplätze zu schaffen und Kreuzungen sicherer zu machen. Zudem sind mehr Tempo-30-Zonen an Hauptstraßen oder die Abschaffung von Autospuren zugunsten von Radwegen geplant.
Begründet werden die Pläne, zu denen auch ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gehört, einerseits mit Klimaschutz und der Reduzierung der gefährlichen Stickoxid-Belastung. Sie liegt an manchen Hauptstraßen um das fünf- oder sechsfache über dem Grenzwert. In dem Zusammenhang hält Günther auch Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge für nötig, wie sie Stuttgart 2018 einführen will. Andererseits gehe es um mehr Verkehrssicherheit: 17 Verkehrstote waren 2016 Radfahrer - ein Rekord. Auch die Zahl der Unfälle insgesamt stieg zuletzt.
»Wer in Berlin noch Auto fährt, hat zu viel Zeit«, sagt Kirchner mit Blick auf die Staus, die das Bild in der Hauptstadt tagtäglich prägen. Und es könnte noch schlimmer werden: Kirchner dachte schon öffentlich darüber nach, Hauptverkehrsstraßen nur noch einspurig zu machen - »wir brauchen den Platz für andere« (»nd« berichtete).
Angesichts von so viel ökologischer Chuzpe hallt ein Aufschrei durch die Hauptstadt. Viele Berliner hängen an ihrem Auto, auch wenn es im Stop-and-Go-Modus durch die City schleicht. Die Opposition wettert gegen »Umerziehungsmaßnahmen«. »Der Kulturkampf gegen die Autofahrer ist eröffnet«, meint CDU-Fraktionschef Florian Graf. Die Wirtschaft warnt, Grundlage für Wachstum sei Mobilität. »Wer glaubt, die Logistik funktioniere allein mit Lastenfahrrädern, kennt die Realität in der Wirtschaftswelt nicht«, schimpft der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, Christian Amsinck.
Günther, früher Direktorin bei der Naturschutzorganisation WWF, sieht die Debatte gelassen. Ihr sei schon seit ihrem Amtsantritt klar, dass »ein harter Ritt« mit vielen Widerständen und viel Überzeugungsarbeit vor ihr liege. »In der wachsenden Stadt führt kein Weg daran vorbei, Alternativen zum Auto zu fördern«, sagt sie. Vom Ausbau der Radinfrastruktur und des öffentlichen Nahverkehrs profitierten am Ende alle: »Wenn immer mehr Menschen bequem auf das Fahrrad oder Bus und Bahn umsteigen können, gibt es am Ende weniger Stau auf unseren Straßen.« dpa
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