SPD wie neugeboren - jetzt auch beim Rüsten

Gabriel stellt Zwei-Prozent-Zusagen gegenüber der NATO in Zweifel / In Österreich ist Airbus in der Bredouille

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Steuereinnahmen sprudeln weiter. Im Januar beliefen sie sich in Bund und Ländern auf rund 46,6 Milliarden Euro. Fürwahr ein gehöriger Batzen. Wenn man nun noch die zu erwartenden Einnahmen des halben Februar addiert, hat man jene Summe rein, die das Verteidigungsministerium ausgeben muss, will es die Forderungen der NATO erfüllen. Die erwartet von allen Mitgliedstaaten, dass sie zwei Prozent des Bruttosozialproduktes für Militär ausgeben. Deutschland liegt derzeit mit rund 37 Milliarden Euro bei 1,2 Prozent.

Es ist noch gar nicht so lange her, da hielt man im Verteidigungsministerium nichts von der Zwei-Prozent-Formel. Auch die Chefin des Hauses, die nimmermüde mehr Geld für Material und Menschen forderte, bremste solche Forderungen. Sie verlangte stattdessen ein effektiveres Zusammenspiel der NATO-Bündnisarmeen. Zudem brachte sie ein weitreichendes Aufrüstungsprogramm bis 2030 ins Gespräch - 130 Milliarden Euro schwer. Damit versuchte man, dem 2014 beim NATO-Gipfel in Wales gefassten Zwei-Prozent-Beschluss etwas Kraft zu nehmen. Doch spätestens beim Folgegipfel in Warschau vor einem Jahr und erst recht nach den massiven Forderungen des neuen US-Präsidenten war klar: Die deutsche Regierung knickt ein.

Dass die Kanzlerin bei der Münchner Sicherheitskonferenz darauf verwies, Verteidigung erschöpfe sich nicht nur im Militärischen, man müsse auch Beiträge für Entwicklungs- und Flüchtlingshilfe berücksichtigen, war nur eine hinhaltende Verteidigung.

Nun, da er nicht mehr Wirtschaftsminister ist, wagt Sigmar Gabriel die große Lippe: »Wir dürfen uns nicht verengen auf eine Aufrüstungsspirale«, merkte er an und stellte das Zwei-Prozent-Ziel der NATO infrage. »Ob es unsere Nachbarn wirklich beruhigt, wenn wir zwei Prozent jedes Jahr - also über 60 Milliarden Euro - in Rüstung investieren, habe ich meine Zweifel«, sagte der Außenminister. So voll auf dem Vernunftstrip merkte er an: »Was eigentlich nötig wäre, ist, dass wir in Europa ein System kollektiver Sicherheit entwickeln, wo wir gegenseitig uns mit Fähigkeiten unterstützen, aber nicht eine große Militärmacht entsteht, die vielleicht in zehn, 15 Jahren bei unseren Nachbarn eher Sorgen erregt als dass sie Vertrauen erweckt.«

Und weil die SPD ja gerade mit Martin Schulz an der Spitze einen Wahlkampf für mehr soziale Gerechtigkeit begonnen hat, fügte Gabriel hinzu: »Was es auf gar keinen Fall mit der SPD geben wird, ist Sozialausgaben zu kürzen, um Verteidigungsausgaben zu erhöhen.« In der Tat hatte CDU-Finanzstaatssekretär Jens Spahn, der selbst ernannte Führer aller Konservativen jenseits der AfD, so einen Vorschlag gemacht. Der aber sei sozialer Sprengstoff und so absurd, »dass man sich wundert, dass der überhaupt gemacht wurde«, polterte Gabriel.

Von der Leyens Konter ließ nicht auf sich warten. Die CDU-Politikerin erinnerte Gabriel via »Stern« daran, dass er 2014 schon mit in der Regierung saß, als der sozialdemokratische Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der demnächst als Bundespräsident gesalbte Worte sprechen kann, diese Forderung mit unterschrieb. Von der Leyen hält es nicht für gut, wenn das Gedächtnis einer Regierung so kurz ist und sie nach drei Jahren nicht mehr zu ihrem Wort stehe. »Wir Deutsche sind ja allgemein bekannt dafür, dass wir gerne international darauf pochen, dass Regeln eingehalten werden«, erklärte Gabriels Kabinettskollegin und betonte, es würde doch niemand verstehen, »dass ein Land, das wirtschaftlich so glänzend dasteht wie Deutschland, in diesem Fall sagt: Wir können es nicht schaffen.«

Nun wäre Gabriel nicht Gabriel, wenn er nicht versuchen würde, von der eigenen Verantwortung abzulenken. Von der Leyen solle zunächst einmal die zahlreichen problembehafteten Rüstungsprojekte auf Vordermann bringen. »Derzeit haben wir ja eher damit zu tun, dass das Gerät liegen bleibt oder dass die Gerätschaften (...) nicht fliegen, nicht schwimmen oder nicht fahren«, stichelte der Außenminister.

Als Konzern-Kuschler, der er noch vor wenigen Wochen qua Amt war, hätte er sich vermutlich lieber auf die Zunge gebissen und überlegt, wie er dem Rüstungslieferanten Airbus unter die Arme greifen kann. Der Konzern hatte zu Wochenmitte Geschäftszahlen vorgelegt. Im vergangenen Jahr seien Belastungen von 2,2 Milliarden Euro für das schon lange von Problemen geplagte A400M-Programm aufgelaufen. Der Konzerngewinn sackte dadurch um 63 Prozent auf 995 Millionen Euro ab. Damit verdiente der Boeing-Rivale 2016 nur gut halb so viel wie Analysten erwartet hatten. Man müsse »die Blutung stoppen« und »Risiken aus dem Programm nehmen«, sagte Konzernchef Tom Enders. Er verlangte weitere Zugeständnisse Deutschlands und der übrigen Käuferstaaten. Die sollten Airbus unter anderem bei Entschädigungsforderungen für Verzögerungen entgegenkommen.

Damit stößt er bei von der Leyen auf taube Ohren. Die ist weiter entschlossen, alle Vertragsstrafen, die die Bestelldokumente hergeben, zu nutzen. 53 Maschinen hat die Bundeswehr geordert. 40 darf sie nach bisherigen Plänen selbst betreiben. Für 13 Maschinen will man Käufer finden. Doch angesichts der Probleme ist das nicht ganz so einfach. Derzeit ist gerade einer von bislang acht an die Deutsche Luftwaffe gelieferten Transporter flugklar.

Von der Leyen will mit 13 »freien« Fliegern einen Pool bilden und die Maschinen gemeinsam mit anderen Staaten betreiben. Zu erfahren war, dass die Schweiz und Tschechien darüber nachdenken. Doch angesichts der Erfahrungen, die auch das Nachbarland Österreich mit Airbus gemacht hat, wird man das wohl überdenken. Gerade hat Österreich eine Strafanzeige gegen den deutsch-französischen Airbus-Konzern gestellt. Es geht um den Verdacht der arglistigen und betrügerischen Täuschung beim Ankauf von »Eurofightern«. Sowohl der als auch vereinbarte Gegengeschäfte waren wegen des Verdachts auf Schmiergeldzahlungen und Scheinverträge anrüchig geworden.

Die Grünen um Nationalrat Peter Pilz beantragen einen erneuten Untersuchungsausschuss. Bevor jemand so etwas auch in Deutschland fordert, sollte er sich die Gesetzeslage anschauen. Sie bestimmt, dass sich der Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss konstituiert. Wer da an den Bock als Gärtner deckt, ist nur politikerfahren.

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