Ewigkeit: ein Moment
Barbara Schnitzler im DT: ein Abend mit Rilke
Im Rücken des Publikums die ersten Worte. Kräftiges Abschmecken eines Dichternamens: Rainer Maria Rilke. Das »r« rollt. Barbara Schnitzler kommt nach vorn, im oberen Foyersaal des Deutschen Theaters, eine volle blaue Hortensie bringt sie mit - und das dazugehörige Gedicht von Rilke. Der Abend heißt »Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles«, ein von der Schauspielerin collagiertes Dichter-Porträt, am Klavier Michael Abramovich.
Erzählen, lesen, rezitieren. Das »Universum Rilke«. Lebendig wird der Knabe in den Mädchenkleidern. Der Schmerzverlorene zwischen Frauen und grundsätzlicher Fremde. Und Menschen, die er zu recht attackiert: »Ihr bringt mir all die Dinge um.« Und Auszüge aus den über 1150 Briefen an die Mutter, von der er schreibt, sie habe kein Herz, sondern einen »Herzverschlag«.
Ein Tisch, ein Sesselstuhl, ein Glas Wasser. So beginnt Theater und vollendet sich. Klassik braucht keine Extras. Barbara Schnitzler findet eine kluge Mischung aus Zurücknahme und feiner, mitunter ironisch-spitzer Formgebung. Den Charme der Übertreibung setzt sie ebenso ein wie eine melancholische, aber nie sentimentale Getragenheit. Das Versunkene nicht zu dunkel, das Sprühende nicht ausufernd. Auf einnehmende Weise bleibt sie verbunden mit innerer Beteiligung; das alles in einer blitzsicheren Sprache aus durchgehender Präzision.
Kleine feine Schlaglichter auf einen Dichter, der Nachbarn beschreibt und die Art, wie Menschen ihre Gesichter tragen, wechseln, verlieren. Der die Psychoanalayse ablehnt, sie ist »gegen das Geheimnis des Lebens« gerichtet. Die Schauspielerin sitzt, rezitiert aufrecht, beugt sich erzählend vor. Oder sie schaut gelöst hinüber zum Pianisten. Chopin. Töne wie tätiger Schmerz, wie ein kräftiges »Trotzdem!«; das Ja zum Leben kennt die Klage, das Nein zur Welt nimmt Leben nicht um einen Deut zurück. Dies macht Wort und Musik zum gemeinsamen Klang.
Rilke: Zwischen den Polen Gott und Tod, Liebe und Verlorenheit eine geradezu zitternde Fühligkeit für die Brechungen, Flüchtigkeiten und Verzauberungskräfte des Lichts - ebenso für die Kraft der Schatten, die aus allen Seelen und Dingen hervornebeln. Eine wie unbeatmete Stille, da die Schauspielerin die 8. Duineser Elegie liest. Einfühlung in die Kreatur, die uns Denkenden voraus ist - die wir doch nur immer Opfer unseres gnadenlos arbeitenden Bewusstsein sind. Nietzsche kommt in den Sinn, der uns Menschen »das unvollendete Tier« nannte.
Jetzt fährt sich die Akteurin durchs Haar. Lebendigkeit will Zeichen! Barbara Schnitzler vermittelt einen Geist, der die Dinge nie frontal angeht. Du hörst diesen Dichter und bist plötzlich auf ganz eigentümlich besänftigende Weise befreundet mit jener Verletzbarkeit deines Daseins, das dich täglich mit überraschend aufkommenden Schüben quält, indem es an Verwitterung denken lässt. Aus der Poesie eines Dichters, der alles kommende Unglück schon zu sehen meint, kommt doch auch Heiterkeit - des Moments, den wir mit Ewigkeit verwechseln dürfen. Wenn wir ihn denn leben!
Wieder im April
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