Werbung

Längere Arbeitslosengeld gibt's nur gegen Qualifizierung

SPD konkretisiert Pläne für Änderungen an der Agenda 2010 / Kipping: Sanktionen und Sperrzeiten abschaffen

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Die SPD will den Bezug von Arbeitslosengeld verlängern, wenn sich die Betroffenen weiterqualifizieren. Die maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I (ALG I) soll sich um die Zeit verlängern, in der sie eine Qualifizierungsmaßnahme besuchen, heißt es in einer Beschlussvorlage für ein Treffen des SPD-Vorstands an diesem Montag. Sie lag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor. Die »Süddeutsche Zeitung« (Samstag) berichtete als erstes darüber.

Für ältere Arbeitslose kann sich die Zeit des ALG-I-Bezugs folglich auf maximal 48 Monate verdoppeln. Heute finanziert die Bundesagentur für Arbeit (BA) solche Maßnahmen in der Regel maximal für zwei Jahre, häufig sind sie kürzer. »Wir wollen, dass Beschäftigte im Laufe ihres Erwerbslebens so unterstützt werden, dass eine längere Phase der Arbeitslosigkeit möglichst vermieden wird beziehungsweise dass Phasen der Arbeitslosigkeit genutzt werden, um die vorhandene Qualifikation zu erweitern«, heißt es in dem Papier.

Arbeitslose sollen ein Recht auf Weiterbildung erhalten. Finden sie binnen drei Monaten keine neue Stelle, soll die Bundesagentur für Arbeit (BA) ein Angebot für eine Weiterqualifizierung machen. Während die Betroffenen ihre Kompetenzen ausbauen, einen Berufsabschluss nachholen oder eine Umschulung machen, sollen sie dazu ein neues Arbeitslosengeld Q in gleicher Höhe wie das ALG I bekommen. Nach der Qualifizierungsmaßnahme setzt der Anspruch auf ALG I wieder ein, wenn sie nicht gleich eine neue Stelle finden. Die BA soll zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung ausgebaut werden.

Die Pläne der SPD sehen auch eine Erhöhung des Vermögensfreibetrags für Hartz-IV-Empfänger von bislang 150 auf 300 Euro pro Lebensjahr vor, schreibt die »Süddeutsche Zeitung«. Zudem soll es für den Bezug von Arbeitslosengeld I künftig reichen, innerhalb von drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens zehn Monate sozialversicherungspflichtig gearbeitet zu haben. Derzeit hat darauf Anspruch, wer innerhalb von zwei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.

Die Grünen begrüßten grundsätzlich das Vorhaben, die Verlängerung des ALG-I-Bezugs an Qualifizierungsmaßnahmen zu knüpfen. »Wirklich neu ist das aber nicht, denn das Prinzip gilt schon heute«, erklärte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin Brigitte Pothmer, am Samstag. Größtes Manko des Konzepts sei, dass die Bezieher von Arbeitslosengeld II nichts davon hätten. »Damit fallen fast zwei Drittel aller Arbeitslosen hinten herunter«, sagte Pothmer.

Eine Neuberechnung des ALG-II-Regelsatzes fehle in dem Schulz-Konzept völlig. »Arbeitslosengeld-II-Bezieher passen offenbar nicht in sein Schema vom 'hart arbeitenden Menschen' und spielen deswegen bei seinen Gerechtigkeitsvorstellungen keine Rolle«, kritisierte die Grünen-Politikerin. Das trage zur weiteren Stigmatisierung von Arbeitssuchenden bei.

Zu den Kosten erfuhr die »SZ« aus SPD-Kreisen, dass die Pläne die Arbeitslosenversicherung mit etwa einer Milliarde Euro pro Jahr belasten könnten. Die Arbeitslosenversicherung verfügte demnach Ende 2016 über eine Rücklage von 11,5 Milliarden Euro.

Kritik an den Plänen äußerte die LINKEN-Vorsitzende Katja Kipping. Zwar bezeichnete sie Pläne, das Arbeitslosengeld I länger zu zahlen, als richtig, doch dies reiche für einen wirklichen Bruch mit der Agenda 2010 und dem Hartz-IV-System nicht aus. Zusätzlich müssten Sanktionen sowie drohende Sperrzeiten abgeschafft werden.

Ähnlich äußerte sich LINKEN-Co-Chef Bernd Riexinger. Er forderte statt kosmetischer Maßnahmen eine wirkliche Rückabwicklung der Agenda 2010. Armutsgefährdete Menschen dürften nicht ausgeklammert werden, sagte Riexinger am Samstag in Osnabrück beim Landesparteitags der niedersächsischen LINKEN. »Wir brauchen Programme gegen prekäre Arbeit.« Man dürfe aber nicht »sauertöpfisch in die Waden von Schulz beißen«, auch sei der Vorschlag einer Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I auf 48 Monate ein »Schritt in die richtige Richtung«.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach erklärte, es sei »der richtige Ansatz, den Schutz der Arbeitslosenversicherung zu verbessern«. »Dazu gehört, die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für Ältere wieder zu verlängern.« Buntenbach forderte laut »Süddeutscher Zeitung« , in Zukunft müssten auch Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden, damit ältere Beschäftigte erst gar nicht entlassen werden. Von der Politik forderte sie außerdem, Betroffene davor zu schützen, in Hartz IV abzurutschen, da sie sonst fast ihr komplettes Vermögen verlieren. »So sollte niemand sein Berufsleben beenden müssen.«

Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, begrüßte die geplante Koppelung einer ALG-I-Verlängerung an Qualifizierungsmaßnahmen. »Das ist ein innovativer Ansatz, in die Förderung der Beschäftigungschancen Arbeitsloser zu investieren«, sagte er der dpa. »Wir brauchen solche neuen sozialen Reformen, um den Betroffenen einen besseren Anschluss zu ermöglichen.« Agenturen/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.