Kontrollverlust im Wartesaal

EU-Außenbeauftragte Mogherini fordert einen glaubwürdigeren Einsatz für den ins Stocken geratenen Erweiterungsprozess auf dem Westbalkan

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.

Besorgt lässt die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini vor dem EU-Gipfel am Donnerstag die Alarmglocken schrillen. Der Balkan könnte leicht zu einem »Schachbrett« für die Spiele der Großmächte werden, warnte sie nach der Rückkehr von ihrer von zahlreichen Misstönen überschatteten Reise durch den krisengebeutelten EU-Wartesaal. Die zunehmenden Spannungen auf dem Westbalkan seien gefährlich und könnten die Region um mehrere Jahre zurückwerfen: »Der Frieden ist niemals eine Selbstverständlichkeit.«

Die EU-Chefdiplomatin sei »frustriert« von ihrer Reise zurückgekehrt, konstatiert der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak, der einstige EU-Sondergesandte in Bosnien und Herzegowina. Dass zwei EU-Aspiranten »vor dem Zerfall« stünden und drei weitere »in einer tiefen Krise« dümpelten, sei eine direkte Folge des sinkenden EU-Engagements: Mit »Worten und Taten« ziehe sich die EU immer mehr vom Westbalkan zurück.

Tatsächlich hat Mogherinis Balkanreise vergangene Woche vor allem eins demonstriert: Der Einfluss der EU in ihrem Vorhof schwindet. Eigentlich hatte die engagierte Italienerin bei ihrer Sechs-Staaten-Tour Spannungen abbauen und ihre Gastgeber auf dem von der EU vorgezeichneten Reformweg ermutigen wollen. Doch die ihr gebotenen Empfänge holten sie schnell in die Realität der von endlosen Verwerfungen geplagten Problemregion zurück.

In Mazedonien verweigerte Präsident Gjorge Ivanov ihrer Aufforderung jegliches Gehör, dem von einer Parlamentsmehrheit gestützten Oppositionschef den Regierungsauftrag zu erteilen. In Kosovo wurde die von ihr geplante Wiedereröffnung der Brücke in der geteilten Stadt Mitrovica erneut verschoben. In Serbiens Parlament schallten ihr »Russland, Russland«-Rufe entgegen. Und auch Bosniens Dauerstreithähne sollten bei ihrem Empfang nur kurz ihr Kriegsbeil begraben. »Parteiführer für 60 Minuten vereint«, höhnte bitter das Portal »klix.ba«.

Verschiedene Schichten ethnischer oder politisch gezielt geschürter Spannungen ortete Mogherini bei ihrem Ausflug ins das vertrackte Balkan-Labyrinth. Doch auch für den zunehmenden Kontrollverlust Brüssels im EU-Wartesaal sind mehrere Ursachen auszumachen. Neben der Erweiterungsmüdigkeit in der EU, der Ermattung in der EU-Warteschleife und dem veränderten globalen Umfeld ist es auch das widersprüchliche Agieren Brüssels und der EU-Mitglieder, die nicht nur regionale Politfürsten, sondern auch Moskau das entstandene Machtvakuum für die eigenen Interessen nutzen lassen.

In enger Abstimmung hatten die EU und USA die zerstrittenen Nachbarn bisher gemeinsam auf eine Politik der Aussöhnung und rechtsstaatlicher Reformen einzuschwören versucht. Doch nach der britischen Entscheidung für den Brexit und den US-Wahlen haben die nationalistischen Ränkeschmiede in der Region Oberwasser. Lästige Bürgerrechtsgruppen, die europäische Werte einfordern, werden von ihren Regierungen als vom Ausland oder dem US-Finanzinvestor George Soros finanzierte Söldner diffamiert. Umgekehrt schwächt die EU mit dem Hofieren fragwürdiger Autokraten als vermeintliche Garanten der Stabilität die ohnehin schwache Position der pro-europäischen Opposition.

Wie einst Slowenien wegen bilateraler Streitigkeiten dem Nachbarn Kroatien den EU-Beitritt nach Kräften erschwerte, mimt nun auch Zagreb den Bremser der serbischen EU-Ambitionen. Einheit und ein glaubwürdigeres Engagement für die Erweiterung fordert Mogherini von den Mitgliedern ein: »Denn keine andere Macht hat einen so guten Einfluss auf den Westbalkan wie die EU.«

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