Einst dreckig, jetzt AfD - Bitterfeld-Wolfen kämpft ums Image

Wie sich eine Stadt von einer wirtschaftlichen Vorzeigeregion in eine AfD-Hochburg entwickeln konnte

  • Petra Buch
  • Lesedauer: 5 Min.

Bitterfeld-Wolfen. Beim Image kommt Bitterfeld-Wolfen vom Regen in die Traufe: Nachdem sich die einst dreckigste Stadt Europas - verursacht durch eine marode Chemie- und Braunkohlenindustrie - nach dem Fall der Mauer zu einer wirtschaftlichen Vorzeigeregion entwickelt hat, kämpft sie nun erneut mit einem Negativimage. Nirgendwo bekam die AfD mehr Stimmen bei der Landtagswahl 2016 als in dieser Region - 31,9 Prozent aus dem Stand heraus. Medien aus der ganzen Welt zieht es seither nach Bitterfeld-Wolfen mit rund 40.000 Einwohnern auf der Suche nach Bildern und Erklärungen.

Die Politologin Kerstin Völkl von der Universität in Halle sieht Ängste, Sorgen vor sozialem Abstieg oder mehr Kriminalität sowie enttäuschte Hoffnungen und Zukunftsängste als Ursachen - selbst wenn die Fakten über die Entwicklung der Region anders sind. »Menschliches Verhalten ist nicht immer rational zu erklären, es wird zum Großteil durch Emotionen beeinflusst«, sagt Völkl. »Menschen haben das Gefühl, dass sie durch die AfD beim Thema soziale Gerechtigkeit besser vertreten werden als von etablierten Parteien, von denen sie sich enttäuscht fühlen.«

Die Politologin verweist auf gravierende Brüche, welche die Menschen hautnah erlebt haben, den Verlust Zehntausender Arbeitsplätze gleich zwei Mal in kurzer Zeit. Nach 1990 war es das Ende von Braunkohleförderung und Filmproduktion bei Orwo Wolfen, der radikale Strukturwandel in der Chemie. Dem folgte nach 20 Jahren Aufbauarbeit fast über Nacht das Aus für »Solar Valley«, einem der größten Solarstandorte Europas um den gefeierten Börsenneuling Q-Cells. Mit der Pleite der Branche gingen Tausende Jobs verloren.

Wer die Stadt Bitterfeld-Wolfen heute besucht findet ein ähnliches Bild vor wie in so manch anderer von Umbrüchen und demografischem Wandel gezeichneten Kleinstadt in Deutschland. Leerstand, ebenso wie altersgerecht sanierte Häuser und schicke Neubauten, etwa an der Goitzsche. Der geflutete Ex-Braunkohletagebau nahe der Dübener Heide vermittelt mit Segelbooten, Gastronomie und Ferienhäusern zugleich im Wohnumfeld maritimes Flair.

Im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen zeugen Neubauten - finanziert auch mit Hilfe von Steuergeldern - von Unternehmen wie dem Pharmakonzern Bayer (Leverkusen), Mittelständler und Logistiker von einem ganz anderen Bitterfeld als das der giftigen Dreckschleudern vor 1990.

Dennoch gibt es eine andere Seite der Erfolgsstory Ost – und entsprechende Reaktionen: »Nicht schon wieder! Wie das Leben hier wirklich ist, das will doch niemand hören«, reagieren Einwohner genervt - wenn sie auf der Straße danach gefragt werden, warum die Region bundesweit als eine Hochburg der AfD gilt. Andere wenden sich wortlos ab - oder sprechen von persönlichen Enttäuschung und Unzufriedenheit mit der Arbeit von Politikern anderer Parteien, die einen Denkzettel verdient hätten.

Die AfD erntete bei der Landtagswahl im März 2016 auch andernorts in Sachsen-Anhalt Zuspruch. Die Partei zog mit einem Wahlergebnis von 24,2 Prozent als zweitstärkste Kraft - hinter der CDU - in den Magdeburger Landtag ein. Laut Analyse von Wahlexperten waren es vor allem die 24- bis 44-Jährigen, Arbeitslose und Arbeiter, die für die Rechtspopulisten stimmten.

Der Oberbürgermeister von Bitterfeld-Wolfen, Armin Schenk (CDU) glaubt nicht, dass sich das AfD-Ergebnis bei der Bundestagswahl im September wiederholen wird. Aber: »Sie sind gewählt worden von den Bürgern, das ist zu respektieren«, sagt der 55-Jährige. Schenk wendet sich gegen ein einseitiges Bild der Kommune, an deren Rathaus seit 2013 das Schild »Stadt ohne Rassismus - Stadt mit Courage« hängt. So engagiert sich auch ein Bündnis gegen Rechts - 2015 gegründet nach Anschlägen auf ein alternatives Kulturwerk und Abgeordnetenbüros - mit Angeboten für alle Bevölkerungsgruppen gegen Fremdenfeindlichkeit und für Toleranz.

Zugleich verweist Schenk auf wirtschaftliche Fakten: Investoren aus dem In- und Ausland, so aus Israel, Japan, China, hätten sich bewusst für den Standort mit mehr als einhundertjähriger Industriegeschichte entschieden. Rund 300 Firmen sind auf dem Areal des Chemieparks Bitterfeld-Wolfen ansässig, wo 11.000 Menschen arbeiten. Standortentscheidungen von Unternehmen wie für Bitterfeld-Wolfen sind laut Experten zudem meist langfristig orientierte Entscheidungen.

Der Vize-Präsident des Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller, fordert von der Politik, verstärkt auch auf Investitionen in Köpfe zu setzen. »Dazu gehören auch Weltoffenheit und das Eintreten in den Wettbewerb um internationale Fachkräfte. Ich kann mir vorstellen, dass die AfD in dieser Hinsicht ein Hemmnis darstellt.«

Der Konjunkturexperte warnt vor einem Teufelskreis. »Wir wissen zum einen aus der Forschung, dass wirtschaftliches Abgehängtsein fremdenfeindliche Einstellungen begünstigt. Zum anderen sind fremdenfeindliche Einstellungen ein negativer Standortfaktor«, sagt der Professor für Volkswirtschaftslehre.

Bitterfeld-Wolfens Oberbürgermeister sagt: »Wir sind eine internationale Stadt.« So habe sich die Kleinstadt bei der Aufnahme von Flüchtlingen bewusst dafür entschieden, die Menschen dezentral in Wohnungen statt zentral unterzubringen, um sie schneller integrieren zu können. Im Zentrum von Bitterfeld-Wolfen sind auch die Büros der Landtagsabgeordneten der AfD zu finden. Mit Sprüchen wie »Die Stimme der Bürger - unser Programm« im Schaufenster werben die AfD-Politiker Volker Olenicak (50) und Daniel Roi (29) um Zuspruch, auch direkt per Handynummer.

Schlange stehen die Einwohner nicht vor den modern eingerichteten Räumlichkeiten, um an einem normalen Wochentag ihre Anliegen loszuwerden - vor Büros anderer Parteien aber auch nicht. Im Landtag sorgte die AfD bislang durch interne Personalquerelen und rechtspopulistische Äußerungen für Aufsehen. Dennoch dürfe der Zuspruch der Menschen für die AfD nicht kleingeredet werden. »Die AfD hat es innerhalb kurzer Zeit geschafft, eine gewisse Stammwählerschaft an sich zu binden«, sagt Politologin Völkl. dpa/nd

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