Seehofers kalkulierte Niederlage
Der Bundesrat befasst sich auf Antrag Bayerns mit dem Status der Maghrebstaaten
Die CSU weiß, dass ihre Initiative nicht auf Zustimmung stoßen wird. Für Freitag hat die bayerische Landesregierung beantragt, dass sich die Länderkammer mit der Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als »sichere Herkunftsstaaten« befasst. Ein entsprechendes Gesetz hatte die schwarz-rote Bundestagsmehrheit im Mai vergangenen Jahres beschlossen. Im Bundesrat wird das Vorhaben bislang von den Grünen blockiert. In ihren Reihen hat bisher nur Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der gemeinsam mit der CDU regiert, seine Zustimmung signalisiert. Für eine Mehrheit im Bundesrat müssten vier Länder zustimmen, in denen die Grünen mitregieren. Die bayerischen Konservativen wollen nun die Ökopartei mit Ausnahme von Kretschmann als »Sicherheitsrisiko« darstellen. Das ist ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf der Union, der sich hauptsächlich um die Asyl- und Sicherheitspolitik drehen soll.
Die Debatte um die Maghrebstaaten war erneut in den Fokus gerückt, als der aus Tunesien stammende Terrorist Anis Amri im Dezember einen Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt verübte, bei dem zwölf Menschen getötet und 55 Besucher verletzt wurden. Zudem verweist die Union gerne auf Statistiken, wonach nordafrikanische Flüchtlinge häufiger straffällig werden als Schutzsuchende aus anderen Ländern.
Dies nehmen die Konservativen zum Anlass, Menschen aus Nordafrika unter Generalverdacht zu stellen. Die Union spricht ihnen zudem nahezu pauschal Asylgründe ab. Die Anerkennungsquoten lagen vor einigen Monaten zwischen 0,2 Prozent (Tunesien) und 3,7 Prozent (Marokko). Allerdings ist fraglich, ob alle Anträge gründlich geprüft wurden. Das vom CDU-Politiker Thomas de Maizière geführte Bundesinnenministerium, das nach Berichten von »Zeit Online« zuweilen Druck auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausübt, Asylanträge möglichst abzulehnen, hatte oft betont, dass die Nordafrikaner möglichst schnell in ihre Heimatländer zurückkehren müssten. Die Einstufung von Tunesien, Marokko und Algerien als »sicher« hätte zur Folge, dass beschleunigte Asylverfahren in »besonderen Aufnahmeeinrichtungen« möglich wären. Dort kann innerhalb einer Woche über einen Asylantrag entschieden werden, bei einer Ablehnung soll die Abschiebung aus der Einrichtung heraus innerhalb von drei Wochen erfolgen.
Linke und grüne Politiker sowie Menschenrechtsorganisationen haben hingegen darauf hingewiesen, dass die Lage in den drei afrikanischen Ländern keineswegs sicher ist. Zu den Missständen zählen Folter, die Unterdrückung Oppositioneller, Verfolgung von Homosexuellen und Missachtung von Frauenrechten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zählte im vergangenen Jahr noch 8000 Flüchtlinge, die aus Tunesien, Algerien und Marokko in Deutschland erstmals registriert wurden. 2015 waren es noch 25 000.
Allerdings liegt seit Monaten ein Vorschlag der Grünen vor, der sich nicht sonderlich von dem Vorhaben der Bundesregierung unterscheidet. »Die Große Koalition setzt auf Augenwischerei per Gesetz, wir setzen auf schnelle Asylverfahren und funktionierende Rückführungsübereinkommen«, erklärte nun die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Die Grünen wollen unter anderem eine bessere Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern bei den Abschiebungen. Zu diesem Zweck war auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kürzlich in Tunesien und hatte sich von den dortigen Behörden zusichern lassen, dass Fragen zur Identität von Asylbewerbern künftig binnen 30 Tagen geklärt würden. Papiere sollten dann in weniger als einer Woche ausgestellt werden.
Zudem haben die Grünen ein Konzept mit dem Titel »fast and fair« entwickelt, nach dem die Asylbewerber aus Ländern mit einer besonders niedrigen Schutzquote zunächst in drei Wochen, später in 48 Stunden einen Entscheid erhalten sollen. Unter diesem Zeitdruck können ebenso wie in dem Vorhaben der Bundesregierung Fluchtgründe kaum noch umfassend geprüft werden. Vielmehr wird mit solchen Maßnahmen das Ziel verfolgt, Schutzsuchende aus den Staaten mit niedrigen Anerkennungsquoten abzuschrecken. Dass sich die Große Koalition und die Grünen trotzdem bisher nicht einigen konnten, dürfte vor allem daran liegen, dass ein Entgegenkommen in Wahlkampfzeiten besonders schwerfällt.
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