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Die Reichen mussten zur Zisterne

Mario Rodríguez über Wasserknappheit und Wasserkraft in Bolivien

  • Lesedauer: 5 Min.

Im Nordwesten Boliviens plant die Regierung die großen Wasserkraftwerke El Bala und Chepete. Indigene Gemeinden kündigten eine Klage gegen den geplanten Stausee El Bala an. Sie arbeiten im städtischen Raum - welche Rolle nimmt das Thema Energie in der Stadt ein?
Es spielt eine Rolle, aber in Bolivien ist Energie noch kein Thema, das stark diskutiert wird. Die Regierung hat einen Nationalen Plan zur Entwicklung für das Vivir Bien (Gute Leben) - der Name ist ein Widerspruch, aber so heißt der Plan. Ein zentrales Element ist das Ziel, Bolivien in ein Zentrum der Energieproduktion in Südamerika zu verwandeln, das Energie exportieren kann. Der Energieexport hängt stark mit der steigenden Nachfrage der Agrarindustrie, insbesondere in Brasilien, zusammen. Die Strategie, Energie im großen Maßstab zu produzieren, beinhaltet unter anderem erneuerbare Energien aus Sonne und Wind, führt aber zwei zentrale Themen ein: Den Bau von großen Wasserkraftwerken im Amazonas und zwei Zentren zu Kernenergie.

Gibt es zwischen Gruppen, die sich wie bei El Bala gegen Stauseen im Amazonas wehren, und Gruppen, die in der Stadt zum Thema Energie arbeiten, gemeinsame Kämpfe?
Als die Regierung von Evo Morales die Pläne für die Wasserkraftwerke El Bala und Chapete wiederaufnahm, reagierte der urbane Raum, zu mindestens in den Medien, zuerst. Es handelt sich um kleine Organisationen in der Stadt, die vor allem von einer Mittelklasse mit ökologischem Diskurs getragen werden. Die indigenen Völker aus den betroffenen Territorien reagierten mit einer Diskussion über die Notwendigkeit der Befragung (consulta). Dies wird in den medialen Kampagnen in der Stadt aufgegriffen. Mit der Stromversorgung gibt es in den Städten demnach kein Problem. Momentan gibt es in den Städten jedoch Wasserknappheit.

Netzwerk der Diversität

1996 schlossen sie sich mit Initiativen aus anderen Städten zusammen und gründeten das Netzwerk der Diversität (Red de la Diversidad). Das landesweite Netzwerk verbindet zahlreiche Basisorganisationen im städtischen Raum. Mit Rodríguez Ibañez sprach für »nd« Evelyn Linde.

Liegt das Problem beim Wassermanagement oder bei der ungewöhnlichen Dürre?
Sowohl als auch. Beim Thema Wasser gibt es drei Probleme: Ein Problem sind die Auswirkungen des Klimawandels. Wir haben immer kürzere aber stärkere Perioden der Regenzeit, das heißt es regnet sehr viel, aber in kurzer Zeit. Für die Wasserversorgung in den Städten hat dies negative Folgen. Es gibt Städte wie Cochabamba und Tarija, die an natürlicher Wasserknappheit leiden. La Paz leidet wegen der geografischen Lage hingegen normalerweise nicht darunter. Außerdem führt der Klimawandel zum Abschmelzen der bolivianischen Gletscher. Zweitens verlieren Flüsse an Wassermenge durch Übernutzung. Das Problem ist, dass es keine Politik gibt, die die integrale Nutzung von Flüssen garantiert. Drittens gibt es ein Problem mit dem Wassermanagement. Die Frage, wie mit der Wasserknappheit umgegangen wird, wird in den nächsten Jahren an Schärfe zunehmen. Es wird sich zu einem öffentlichen Themaverwandeln. Die Menschen diskutieren über Wasser, weil es sie in ihrem Alltag direkt betrifft.

Wie betrifft es die Menschen?
In La Paz gibt es Viertel, die nur in bestimmten Stunden mit Wasser versorgt werden und nicht den ganzen Tag. Jetzt haben wir Februar und im März endet die Regenzeit. Trotzdem haben wir es nicht geschafft, die normale Wasserversorgung zu erreichen. Die Menschen fragen sich, was erst in der Trockenzeit im Juni passieren wird. Dieses Problem hat zu ernsthaften Debatten über die Beziehung zwischen der urbanen und ruralen Welt geführt. Um die Wasserknappheit in La Paz zu mildern, wird Wasser aus einem Stauwerk in La Paz genutzt, das historisch ein nahe gelegenes Tal mit Wasser zur Gemüseproduktion versorgt. Die Bäuer*innen beschweren sich, dass sie ihre Produktion verlieren werden wegen dem Verbrauch in der Stadt. Zum ersten Mal wird die Rolle der Stadt beim Wasserverbrauch diskutiert. Darüber beginnt auch eine Kritik an einer imperialen Lebensweise.

Was meinen Sie damit?
Die mit dem Lebensstil verknüpfte verschwenderische Wassernutzung in der Stadt wird in Frage gestellt. Es wird debattiert, ob im öffentlichen Raum wirklich wasserintensive Zierblumen gepflanzt werden sollen statt den lokalen, ans Klima angepassten Pflanzen. Oder die Wassernutzung zur Autowäsche, was mit unserem Lebensstil zusammenhängt. So wurde auch die Debatte angestoßen, ob das Wasser in dem besagten Stauwerk tatsächlich für die Stadt genutzt werden soll oder doch lieber für die Produktion von gesundem lokalem Gemüse.

Arbeitet Ihre Organisation Red de la Diversidad auch dazu?
Ja, für uns sind das zentrale Themen. Wir arbeiten für die Wechselwirkung zwischen dem ländlichen und städtischen Raum mit dem Horizont des Vivir Bien. Gerade in Bezug auf Wasser schafften wir es, mit verschiedenen Organisationen Diskussionen anzustoßen. Wir verbreiteten Wissen über Wassersysteme und arbeiteten zu der Frage, wie die Stadt in die Wassersysteme integriert ist. Die Stadt El Alto verschmutzt den Titicacasee beispielsweise enorm. Wir stoßen eine Diskussion darüber an, wie Wasser in die Stadt gelangt und wie die Stadt dieses verschmutzt wieder ans Land zurückgibt. Und dadurch debattieren wir unseren Wasserverbrauch in der Stadt. Wir arbeiten seit etwa zehn Jahren dazu und seit etwa vier Jahren verzeichnen wir in kleinen Sektoren Erfolge. Durch die Wasserknappheit wurde die Diskussion angeregt und das Interesse an dem Thema ist gewachsen.

Das Bewusstsein um das Wasserproblem wächst. Kann das mit einer Kritik an Staudämmen verknüpft werden?
Ja! Mehr noch als zur Energie ist das Bewusstsein für unsere natürlichen Ressourcen gewachsen. Wasser brauchen wir im Alltag immer und durch die Wasserknappheit der vergangenen Monate ist den Menschen ihre Verletzlichkeit bewusst geworden.

Wer leidet denn unter der Wasserknappheit?
Nicht alle Viertel in La Paz und El Alto litten unter Wasserknappheit, nur einige Zonen der Stadt. Es gab so eine große Medienaufmerksamkeit, weil die Viertel, in denen die Reichen wohnen, von der Wasserknappheit betroffen waren. Viele ärmere Viertel hatten hingegen kein Problem. Dadurch, dass es privilegierte Personen betraf, ist die mediale Aufmerksamkeit gestiegen. Es waren die Reichen, die zu einer Zisterne mussten - etwas, das sie in ihrem Leben noch nie erfahren haben. Das hatte einen starken Effekt auf die Gesellschaft. Dadurch wurde eine Debatte über unsere natürlichen Reichtümer und Gemeingüter angestoßen. Die Themen Wasser, Energie und Staudämme werden diskutiert. Die Menschen in der Stadt sind in ihrem Alltag von Projekten wie Mega-Wasserkraftwerken nicht betroffen. Sie wissen nichts über die Regionen und die Menschen. Die Erfahrung mit dem Wasser schafft das Bewusstsein, dass diese Themen das Leben der Menschen schwerwiegend beeinflussen. In diesem Moment entsteht die Möglichkeit, wieder über diese Wasserkraftwerke zu sprechen. Das Thema ist nicht mehr weit weg.

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