Bellen, aber nicht beißen

Die Türkei wird wohl keine ökonomischen Sanktionen gegen die Niederlande verhängen

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.

Kommt nun die große Zeit türkischer Sanktionen gegen die von Präsident Recep Tayyip Erdogan als »Bananenrepublik« titulierten Niederlande? Glaubt man Außenminister Mevlüt Cavusoglu, sieht es so aus. Ministerpräsident Binali Yildirim tönt gleichfalls sehr offensiv, man werde der Regierung in Den Haag »diplomatischen Anstand beibringen«.

Auch Erdogans Berater Cemil Ertem schlägt in diese Kerbe. Er erinnert daran, dass Unilever eine holländische Firma ist, die seit langem in der Türkei investiert, und fügt hinzu: »Sie haben sich ins eigene Bein geschossen.« Ertem sagt aber auch: »Ich empfehle keinen Boykott.« Und der Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci sagt auf die Frage nach ökonomischen Sanktionen: »Wir sind jetzt nicht an einem solchen Punkt.«

Der Verdacht liegt nahe, dass dem lauten Bellen kurzfristig kein Beißen folgen wird: Die Drohungen sollen ernster klingen, als sie gemeint sind. Ähnliches erlebte man auch schon gegenüber Frankreich wegen Abstimmungen über den Völkermord an den Armeniern. Außerdem kommen die Drohungen von Ministern, die zum Teil in Europa unterwegs sind und sich schwerlich abgesprochen haben können. Sie gehören einem Kabinett an, das sich mit dem Referendum am 16. April selbst abschaffen will.

Abgesehen davon darf man sich fragen, wer sich mehr ins eigene Bein schießt - Den Haag oder Ankara: Zwar gingen 2016 nur 2,5 Prozent der türkischen Exporte in die Niederlande, doch war die Tendenz im Geschäft mit den Niederlanden stark steigend, während der Export der Türkei insgesamt leicht sank. Im vergangenen Jahr waren 2694 niederländische Firmen wie KLM, Royal Dutch Shell und Philipps in der Türkei tätig. Alleine die ING-Bank unterhält dort 268 Filialen und beschäftigt mehr als 10 000 Menschen.

Im Jahr 2015 kamen gut zehn Prozent aller ausländischen Investitionen in der Türkei aus den Niederlanden. Im ersten Halbjahr 2016 waren es sogar 19 Prozent. Zwar ist die Statistik der niederländischen Investitionen in der Türkei etwas aufgebläht, weil es sich häufig um große internationale Unternehmen handelt, die ihren europäischen Hauptsitz in den Niederlanden haben. Doch gerade das macht es der türkischen Seite schwer, tatsächlich Sanktionen zu verhängen.

Letztes Jahr kamen zudem 88 000 niederländische Touristen in die Türkei und gaben dort rund 900 Millionen Dollar aus. Wenn man nur diese Zahlen betrachtet, so könnte die Türkei einen Rückgang leicht verkraften. Doch sie müssen vor dem Hintergrund eines ohnehin schwierigen Tourismusgeschäftes gesehen werden. So liegen die Buchungen aus Deutschland für den Sommer um 60 Prozent unter dem Vorjahreswert. Dabei war bereits das Vorjahresgeschäft unter anderem durch einen Anschlag auf eine Touristengruppe aus Berlin im Januar 2016 in Istanbul belastet, bei dem 13 Menschen starben. Ein Andauern des verbalen Schlagabtausches mit Europa und entsprechende Demonstrationen wären sicher keine gute Werbung.

Schließlich möchte die Türkei auch gerne eine Anpassung und Ausweitung der Zollunion mit der EU von 1994 auf den Weg bringen. Auch die Europäer haben Interesse daran. Die meisten Fraktionen im EU-Parlament haben bisher versucht, die Neuauflage der Zollunion nicht durch politische Querelen zu gefährden. Bei einer Ausweitung des Streites mit den Niederlanden und anderen EU-Ländern wird das nicht mehr möglich sein.

Alles deutet mithin darauf hin, dass die Türkei keine konkreten ökonomischen Schritte gegen die »Hauptstadt des Faschismus« ergreifen wird, wie ihr Außenminister die Niederlande nun titulierte. Geht es nach Ankara, wäre die Sache nach dem Referendum vermutlich rasch vergessen. Der eigentliche Schaden dürfte weniger ökonomisch greifbar werden, sondern sich in einer langfristigen Entfremdung zwischen der Türkei und Europa niederschlagen. Das könnte auch den Europäern noch einmal auf die Füße fallen.

Indessen bekommt die türkische Regierung Unterstützung von ganz unerwarteter Seite, die allerdings nicht zu ernst gemeint ist. Der in Deutschland im Exil lebende ehemalige Chefredakteur der Zeitung »Cumhuriyet«, Can Dündar, freute sich darüber, dass die türkische Regierung plötzlich wieder die Menschenrechte entdeckt habe. Der Abgeordnete Sezgin Tanrikulu von der oppositionellen Partei CHP kündigte eine Gesetzesinitiative an. Allerdings nicht, um die Regierung in Den Haag zu bestrafen, sondern zur Abschaffung des Gesetzes 298 im türkischen Wahlrecht. Dort steht nämlich, dass Auslandsvertretungen der Türkei nicht im Wahlkampf benutzt werden dürfen.

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