Sieben Tage, sieben Nächte

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 2 Min.

Karl Marx wusste sicher, warum er sein »Kapital« mit dem Hinweis auf die »ungeheure Warensammlung« begann, als die der »Reichtum der Gesellschaften« erscheint. Aber von wegen Reichtum. Meine Kaufhalle heißt neuerdings Edeka, seit der vormalige Einzelhandelskonkurrent den Laden verkauft hat. Nun ist nichts mehr, wie es war. Es ist, in einem Wort: ungeheuerlich. Und nicht einmal das Marxsche Wort von der »Sammlung« scheint noch berechtigt.

Wo früher die geliebte Lachspaste im Regal darauf wartete, in den Einkaufswagen gelegt zu werden, steht nun ein ungenießbares Derivat, das zwar so ähnlich heißt, aber nicht im Geringsten mit Salmonidae verwandt scheint. Eine Regalreihe weiter klafft schon die nächste unverzeihliche Lücke. Was denken diese Kaufhallenvorstandsvorsitzenden eigentlich, was die Leute am Morgen trinken? Wo dereinst die schmackhafte Teesorte auf den Kaufakt wartete, wird heuer eine den Namen nicht verdienende Mischung aus getrocknetem Laub feilgeboten. Der Frust ist schon auf Höhe der Milch kaum noch zu unterdrücken, selbstverständlich fehlt auch hier die liebgewonnene Ware.

Statt dem Marxschen Prinzip des Sammelns zu folgen, befleißigte sich meine Kaufhalle der Methode Aussortieren. Nun könnten skeptische Geister mir anraten, mich nicht so zu haben, ein bisschen Abwechslung tut doch gut, Sie wissen schon.

Das lässt sich leicht sagen, wenn man seinen Konsumgewohnheiten weiter redlich und treu nachgehen kann. Aber wenn Sie nicht einmal mehr die sonst erheischte Flasche Rotwein kaufen können, weil das vormalige Angebot durch etwas ersetzt wurde, das an die Vielfalt des DDR-Konsums erinnert, werden auch Sie ins Grübeln kommen. Damals ließ sich das ja ertragen. Es ging schließlich um Sozialismus. Aber heute. Siehe Marx: Reichtum, ungeheure Warensammlung. Von wegen.

Es liegt auch kein Trost darin, sich auf irgendeinen Freiheitsfirlefanz zu berufen, denn ich habe keine Wahl. Meine Kaufhalle ist weg und nicht einmal eine der gefürchteten Fahrten in der U1 könnte mich zu ihr zurückbringen. Der Kapitalismus ist kein Zoo für Gewohnheitstiere.

Er ist überhaupt ein garstiges Ding. Ist man endlich ohne Warensammlung, mit fast leerem Einkaufswagen an der Kasse angelangt, wird man von einer offenbar schwer Lohnabhängigen rüde angeherrscht: »Deutschlandkarte?!« Was für eine Karte? Und ausgerechnet eine von diesem Land?

Früher, als meine Kaufhalle nicht nur den Reichtum der Gesellschaft repräsentierte, sondern auch den der Freundlichkeit, wurde ich hier noch lächelnd mit den Worten: »Sammeln Sie Herzen?« verabschiedet. Heute will ich nur noch den Kaiser wiederhaben.

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