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Thilo Mischke: Von Cancel Culture keine Spur
Veronika Kracher begrüßt, dass Thilo Mische nicht Moderator von »titel thesen temperamente« wird
Schon wieder haben hysterischen Feministinnen einen unschuldigen Mann für ein längst vergessenes Kavaliersdelikt an den Pranger gestellt, sein Leben und seine Karriere ruiniert. Sie haben die Meinungsfreiheit zu einer Farce verkommen lassen, einen wütenden Mob aufgepeitscht, ja sie wollen sogar »die Gedankenfreiheit abschaffen«. Unerbittlich sind sie, diese gnadenlosen, herrischen Schabracken, die einfach nicht ruhen wollen, bis sie ihren Willen bekommen haben. Dieser Wille ist: dass ein Mann, der durch die Reproduktion von Rape Culture, durch sensationslüsternen Gonzo-Journalismus und generelle »Unterkomplexität« (so er selbst) ungeeignet ist, eine der wichtigsten deutschsprachigen Kultursendungen zu moderieren.
Ob so ein Mann sensibel mit Themen zum Geschlechterverhältnis, Diskriminierung und sexualisierter Gewalt umgehen wird, ist ausgesprochen fraglich, aber unbedingt nötig. Vor allem in Zeiten, in denen über den Fall Gisèle Pelicot oder über Telegram organisierte Vergewaltigernetzwerke diskutiert wird und dieser Mann ein Buch veröffentlicht hat, in dem er Frauen systematisch objektifiziert und Vergewaltigungsfantasien äußert. Auch in den nachfolgenden Jahren ist er immer wieder mit problematischen Aussagen aufgefallen.
Zur Vorgeschichte: Der Autor und Moderator Thilo Mischke wurde nach vehementer Kritik, zuerst formuliert über den Podcast »Feminist Shelf Control«, einer Petition und einem von inzwischen 200 Autor*innen, Publizist*innen, Kulturwissenschaftler*innen und Künstler*innen unterzeichneten offenen Brief mit der Absage einer künftigen Zusammenarbeit im Falle von Mischkes Einstellung, nicht zum Moderator der ARD-Kultursendung »titel thesen temperamente« ernannt. (Zur Transparenz: Auch ich habe unterzeichnet, und mein Incel-Buch wurde in der Sendung vorgestellt.) Seitens der ttt-Redaktion gab es Kritik gegenüber der Sendeanstalt, es handelte sich von Anfang an um eine kontroverse Entscheidung, einen Moderator zu wählen, der Kultur mit ein bisschen kumpelhafter Jovialität an die breite Masse vermitteln sollte.
Es ist wichtig, Kultur zu demokratisieren. Aber dafür braucht es keinen Thilo Mischke. Die ARD hat übrigens verlautbaren lassen, es ging ihr darum, »Rufschaden« abzuwenden und nicht darum anzuerkennen, dass feministische Kritiker*innen recht haben. So eine Blöße will man sich dann doch nicht geben.
Fast genauso interessant wie die Debatte um Mischke ist die Diskussion um die Anerkennung der Kritik durch die ARD. Diese reicht von rechten Hetzmedien wie »NIUS« bis hin zu etablierten Medien wie dem Deutschlandfunk. Die Argumentationen sind austauschbar: Die Kritiker*innen wollen sich nur profilieren, haben feministische Empörung zum Beruf gemacht, wollen unliebsame Positionen zum Schweigen bringen oder sich der Diskussion entziehen – als ob »Frauen dehumanisieren« eine diskutable Position wäre.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
ARD-Programmdirektorin Christine Strobl behauptet, Einzelpersonen hätten sogar Angst, sich mit Mischke solidarisch zu erklären, sonst würden auch sie ins Visier der feministischen Flintenweiber geraten. Feministinnen sind hier wahlweise ein paar quengelnde Minderheiten oder eine machtvolle Entität, mit der sich niemand anlegen sollte.
Das Feindbild sowohl schwach als auch mächtig wirken zu lassen, ist ein beliebtes Moment in autoritären Welterklärungsmustern. De facto stellen sie, sowohl rhetorisch als auch ideell, eine legitime feministische Intervention mit einem Wutbürgermob gleich, um diese als irrational und affektiv abzutun. Das ist nichts anderes als die Delegitimation feministischer Kritik als Ausdruck identitätspolitischer Befindlichkeiten – und damit nichts anderes als Kritikabwehr, Schuldumkehr und dem Festhalten an etablierten Machtstrukturen.
Mischke wird nicht »gecancelt«. Und wer sich mit ihm solidarisiert auch nicht. Denn Mischke hat ein ganzes Netz aus ihm verständnisvollen Medien-Bros, die ihn bemitleiden, ihn wärmstens empfangen, sich mit ihm über die unverschämte feministische Cancel Culture empören werden. Das Problem ist nicht die Person Thilo Mischke. Das Problem ist wie so oft ein System aus Bro-Culture, männerbündischen Seilschaften und Sexismus. Ein System, in dem es egal ist, ob ein Kandidat für einen Posten geeignet ist, weil diejenigen, die über die Postenvergabe bestimmen, sich aufgrund des geteilten Geschlechts im Kandidaten sehen. Aus diesem System heraus wird Mischke verteidigt: Seine Unterstützer spüren durchaus, dass auch sie mitgemeint sind.
Die Kritik von »Feminist Shelf Control«, dem offenen Brief und der Petition hat sich gegen diese patriarchalen Strukturen gerichtet. Und es ist so bezeichnend, dass genau dieser Aspekt der systematischen Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis in der Empörung über den Rückzug von Mischke unterschlagen wird. Es ist einfacher, sich über feministische Cancel Culture gegen einen armen Mann zu empören als anzuerkennen, dass es ein strukturelles Problem gibt, von dem alle Männer in der Medienwelt mehr oder weniger profitieren. Canceln, also jemanden grundlegend von der kulturellen Bildfläche verschwinden lassen, ist nämlich primär Menschen in Machtpositionen vorbehalten.
Es wurde einmal auf feministische Kritik gehört, und dies wird direkt mit einem misogynen Backlash, mit Schuldumkehr, mit Himpathy – der verständnisvolle Umgang mit Männern – beantwortet. Es zeigt, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben.
Neue Moderatorin wird übrigens Siham El-Maimouni. Sie hat die Kultursendung bereits häufiger moderiert und kann auf eine lange Karriere als Journalistin und Moderatorin zurückblicken. Sie wurde unter anderem mit dem Deutschen Radiopreis und dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Außerdem hat sie die »Sendung mit der Maus« moderiert – was mich persönlich automatisch überzeugt, weil dort anspruchsvolle Themen allgemeinverständlich aufbereitet und vermittelt werden. Das ist auch um Längen sympathischer als der herablassende, Ich-bezogene Bro-Journalismus, den Männer wie Mischke machen. Ich freue mich zumindest sehr auf El-Maimouni.
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