Die Rotkäppchenstrategie
Die AfD lädt zum »Extremismuskongress« - mit BKA, renommierten Professoren und einem radikalen Hetzer
Nicolai Sennels ist Psychologe, vor allem aber »Experte« für - besser: gegen - den Islam. Jüngst sagte er, Muslime sähen »unseren Mangel an Aggression als Angst, als Schwäche, als Einladung zum Angriff«. Dem sei abzuhelfen! Hin und wieder streut er Halbsätze über »demokratische« Methoden ein. Doch sein Duktus ist von Feindseligkeit geprägt und auf Pseudowissen gebaut. Er spricht von seit 1400 Jahren nicht »enden wollenden Wellen von Jihadisten«, die bereits 270 Millionen Menschenleben gefordert hätten, zumeist »auf außerordentlich barbarischem Weg«. Uns werde es ähnlich gehen! Islam und Terror stünden in kausaler Verbindung. Er hassfantasiert von »muslimischen Gettos«, von allein in Frankreich 750 »No-go-Areas«.
All das qualifiziert Sennels nicht nur als Interviewpartner von Internetseiten wie »Islamnixgut«. Sondern auch für einen Auftritt bei einer aspirierenden Bundestagspartei. Am Samstag ist er als Redner auf dem »Extremismuskongress« der AfD - in Berlin veranstaltet von den zehn Landtagsfraktionen - als Redner angekündigt.
»Extremistisch« seien, so die Kongresseinladung, Bestrebungen, die »den demokratischen Verfassungsstaat und seine fundamentalen Werte, seine Normen und Regeln ablehnen und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen und sie durch eine nach den jeweiligen Vorstellungen formierte Ordnung zu ersetzen.« Sennels möchte man nicht fragen, wie sich seine Tiraden mit jener Grundordnung vertragen, mit der Religionsfreiheit etwa oder dem allgemeinen Diskriminierungsverbot.
Richten möchte man solche Fragen auch nicht an den angekündigten Prof. Wolfgang Ockenfels. Der Dominikanerpater und entpflichtete Theologieprofessor, der die Zeitschrift »Die Neue Ordnung« verantwortet, ist eher ein Experte fürs Christentum. Jüngst erläuterte er, wieso die Kritik der Kirchen an der AfD dogmatisch falsch sei.
Und ansprechen möchte man diesbezüglich auch nicht den Publizisten Andreas Lombard, der bereits als Moderator bei ähnlichen Gelegenheiten auftrat und nun wieder erwartet wird. Lombard, der jüngst einen langen Essay gegen die Homosexualität veröffentlichte und sich als Student mit dem Werk von Peter Weiss auseinandergesetzt haben will, gehört zu jenen wendigen Rechten von Links, die Übung darin haben, Widerspruch formvollendet wegzumoderieren.
Nachgehakt hat »nd« hingegen bei Werner Patzelt, dem Dresdner Politologen und Kolumnisten der »Sächsischen Zeitung«, der gleichfalls als Referent und Diskussionspartner auf der Einladung steht. In seiner Kolumne schrieb er jüngst, »Extremismus« dürfe nicht zu einer »Summenformel« für das verkommen, »was man nicht mag« - sondern sei ein »scharfer Begriff, der die Gegnerschaft zur freiheitlichen Demokratie erfasst«. Doch wollte er nicht auf die Frage antworten, ob er nicht zumindest in Teilen der ihn einladenden Partei Anzeichen für eben eine solche Gegnerschaft erkennen könne.
Gleichfalls unbeantwortet blieb eine Mail an Dietrich Murswiek. Der Freiburger Staatsrecht-Emeritus, fachlich sehr angesehen und politisch sehr schillernd, ist der wohl prominenteste Gastredner. Als Student war er Mitglied der NPD-Studentenorganisation NHB, die seinerzeit freilich weniger radikal war als heute. Später schrieb er für das rechte Intelligenzblatt »Criticon«, wirkte aber auch als Gutachter für die Grünen und die Linkspartei. Vor einigen Jahren prangerte er die Verfassungsschutzberichte als verfassungswidrig an: Man sei zu schnell bei der Hand mit Gegnererklärungen, indem man schon »Verdachtsfälle« an den »Pranger der Demokratie« stelle. Auch Murswiek antwortete nicht auf die Frage, ob er in und um die AfD nicht zumindest solche »Verdachtsfälle« sehe, wenn schon offensichtlich keinen »Extremismus«.
Diesbezüglich nachfragen möchte man auch beim AfD-Bundesvorstand. Immerhin soll es nicht nur um religiösen und linken »Extremismus« gehen, sondern auch um rechten. Hatte nicht vor Jahresfrist die Bundes-AfD versucht, den Landesverband Saar aufzulösen, der kommende Woche zur Wahl antritt? Dort bestehe, so damals Vorstandsbeisitzer Dirk Driesang, die Gefahr einer rechtsextremen Unterwanderung.
Es ging um eine von Journalisten aufgebrachte Geschichte um Kontakte zu Vereinigungen, die von der NPD gesteuert werden. Teils gab es auch direkte Berührungen. NPD-Funktionär Peter Marx etwa verlas auf einem Bürgerforum eine Erklärung. Laut Bundesverfassungsgericht ist die NPD rechtsextrem. Sie wurde nur deshalb nicht verboten, weil ihre »auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung« zielende Politik mangels Masse nicht gefährlich sei.
Dennoch wurde der Verband nicht aufgelöst. Der Vorsitzende ist weiter jener Peter Dörr, der nach seiner Wahl 2015 über das »Hinwegfegen« und »Vernichten« politischer »Missstände« - oder Gegner? - fantasierte: Die »Glut« sei entfacht, sie werde zum »Feuersturm« wachsen: »Dieser Feuersturm wird alles hinwegfegen und vernichten, was schlecht ist.« Anschließend waren 15 bis dahin führende AfDler empört zurück- und teils sogar ausgetreten. Angeführt wird die Wahlliste von Rudolf Müller, einem engen Vertrauten Dörrs.
Die Bürger wollten »klare Ansagen«, aber keinen »harten Ton« - so erklärt sich AfD-Frontfrau Frauke Petry das für sie enttäuschende Wahlergebnis in den Niederlanden. In der Clique um die Bundessprecherin scheint man verstanden zu haben, dass eine zumindest rhetorische Abgrenzung vom harten Rechtsextremismus zu den Erfolgsbedingungen der Partei gehört. Praktische Maßnahmen - gegenüber dem Saarverband sowie Björn Höcke - versanden allerdings rasch. So versucht sich die Partei an einer Strategie, die an das Märchen vom Rotkäppchen erinnert: Aus der Distanz will man wirken wie die gütige Großmutter, um weitere Kreise eines Protestwählertums ansprechen zu können. Doch aus der Nähe müssen ideologisch gefestigte Rechtswähler stets auch den bösen Wolf erkennen können.
Diese Strategie ist im Aufgebot für den »Extremismuskongress« erkennbar. Patzelt, Murswiek und der Dominikaner spielen die Rolle der Großmutter. Staatstragende Mittigkeit soll insbesondere auch Uwe Kemmesies vom Bundeskriminalamt signalisieren, der gleichfalls auf dem kongress auftreten soll. Zugleich hat man jedoch mit Sennels einen recht hungrigen Wolf im Programm.
Abschließend daher ein Hinweis an das BKA: Das Amt rechtfertigte seine Kongressteilnahme gegenüber dem »Tagesspiegel« formal: Man sei parteipolitisch neutral und es gebe kein Problem, solange die Einladenden nicht vom Verfassungsschutz beobachtet würden. Sennels allerdings hat sich schon mehrfach genau dafür qualifiziert. So fordert er dazu auf, sich auf dem Blog »politically incorrect« zu »informieren«. Autor dieses Blogs ist Michael Stürzenberger, der dem bayerischen Verfassungsschutzbericht 2015 als »zentrale Figur der verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Szene« gilt.
Zielsicher benutzt Sennels immer wieder rhetorische Figuren, die dort ausdrücklich zitiert werden - etwa die Sache mit dem 1400-jährigen Mordkrieg des Islam.
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