Gottes Wort in der Muttersprache
Ausstellung »Die Sorben und die Reformation« öffnet in Bautzen
Takt besaß Martin Luther wohl eher nicht. Seine oft derben Bemerkungen gehören heute zum reichen Anekdotenschatz des Wittenberger Reformators. So soll er sich beim Abendessen auch über die Wenden - eine veraltete Bezeichnung für Slawen, besonders die Sorben - abfällig als »die schlechteste aller Nationen« ausgelassen haben. »Seine Tischreden wurden damals alle mitgeschrieben. Aber wissen wir, wen er meinte? Schließlich siedelten die Slawen im 16. Jahrhundert nicht nur in der Ober- und Niederlausitz«, sagt der sorbische Superintendent Jan Mahling.
Auf Grundlage der Forschungen des Bautzener Theologen eröffnet nun am 26. März im Sorbischen Museum Bautzen die Sonderausstellung »Fünf Jahrhunderte - Die Sorben und die Reformation«. Denn die Veröffentlichung der 95 Thesen Luthers 1517 ist eine Zäsur im sorbisch/wendischen Leben. »Erst so entstanden das sorbische Schriftwesen, eine sorbische Bildungsschicht aus Pfarrern und Lehrern sowie das sorbische Schulwesen«, sagt Ausstellungskuratorin Andrea Paulick.
Lediglich die Grundherrschaft des Klosters Marienstern und der Domstift in Bautzen blieben kleine, katholische Inseln. Am Ende des hundertjährigen Reformationsprozesses gingen nahezu 90 Prozent der Sorben mit der Luther-Bibel zum Gottesdienst.
Statt in Latein, durfte jetzt Gottes Wort auf Sorbisch gepredigt werden. Der Theologe Albin Moller aus Straupitz (Kreis Dahme-Spreewald) lässt 1574 in Bautzen ein Wendisches Gesangbuch fertigen. Es handelt sich um das erste Buch in wendischer Sprache. Derzeit existiert lediglich noch ein Druck in der Sorbischen Zentralbibliothek in Bautzen, da der brandenburgische Landesherr 1668 die Abschaffung der wendischen Sprache beschlossen hat. »Alle Bücher wurden verbrannt«, sagt Paulick. Das Unikat zeigt die Reformationsschau.
Durch Toleranz macht die Oberlausitz in dieser Zeit von sich reden. Das Land untersteht seinerzeit der böhmischen Krone, der Landesherr ist weit weg. Städte und Grundherren können über die Einführung des neuen Glaubens entscheiden. »Da gab es Fälle wie Radibor, wo trotz evangelischem Rittergutbesitzer das Dorf katholisch blieb«, so Paulick. Das Neue Testament in Obersorbisch erscheint 1706 in Bautzen. »Die Übersetzung geht auf Michael Frentzel zurück. Der Theologe entstammt einer Pfarrerdynastie«, erläutert Mahling. Die erste Bibelgesamtausgabe in Obersorbisch liegt 1728 vor.
Die Reformationsausstellung zeigt knapp 1000 Exponate, darunter viele geistliche Schriften, wie auch evangelische Trachten aus der Ober- und Niederlausitz. Ein besonderes Ausstellungsstück ist eine Kanzelsanduhr aus dem Jahr 1690 aus der Gröditzer Kirche. Sie zeigte dem Pfarrer an, wie viel Zeit ihm noch zum Predigen blieb. »Der Pfarrer wurde nach Leistung bezahlt. Und die Leute wollten am Sonntag ihre volle Stunde Predigt«, Jan Mahling. Es ist eine Leihgabe aus dem Mathematisch-Physikalischen Salon in Dresden.
Mit der Ausstellung will die Kuratorin den Blick neu auf die kleinste slawische Minderheit richten. »Heute verbinden viele mit dem Sorbischen den katholischen Glauben. Dabei prägen seit Jahrhunderten sorbisch-evangelisch Intellektuelle die zweisprachige Lausitz«, sagt Paulick. Und auch nicht alle Reformatoren aus Wittenberg machten einen großen Bogen um die Sorben. »Am Tische Phillip Melanchthons wurde sogar Sorbisch gesprochen. Schließlich hatte er mit Caspar Peucer einen sorbischen Schwiegersohn aus Bautzen«, sagt Mahling.
Korrespondierend zur Schau im Sorbischen Museum wird am 7. Mai in der Michaliskirche in Bautzen die Ausstellung »Wendische Kirchen zwischen Löbau und Lieberose« eröffnet. Außerdem veranstaltet das Sorbische Institut vom 24. bis 26. November eine Fachkonferenz zum Thema »Reformation und Konfessionsbildung bei den kleinen Völkern Europas«. »Fünf Jahrhunderte - Die Sorben und die Reformation« ist bis 27. August im Salzhaus im Hof der Bautzener Ortenburg zu sehen. dpa
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