Von Marzahn nach Tschechien
Trotz schwarzer Zahlen soll Hasse & Wrede aus Berlin ins Nachbarland verlagert werden / 125 Angestellten droht die Entlassung
»Nach 40 Jahren hätte ich mir das nicht träumen lassen.« Uwe Poeggel sitzt in einem Café am S-Bahnhof Marzahn und schüttelt den Kopf. »Meine letzten Jahre bis zur Rente habe ich mir anders vorgestellt.« Sein ganzes Arbeitsleben hat der 56-Jährige bei dem Betrieb verbracht, der nun ihn, 124 weitere Kollegen und 30 Leiharbeiter auf die Straße setzen will. Angefangen hatte Poeggel mit einer Zerspaner-Lehre zu DDR-Zeiten beim Berliner Bremsenwerk. Das Werk wurde nach der Wende vom früheren, 1945 enteigneten Besitzer Knorr-Bremse weitergeführt. 1994 wechselte Poeggel zum Berliner Traditionsbetrieb Hasse & Wrede, mittlerweile eine Tochtergesellschaft von Knorr-Bremse. Dort arbeitet er noch heute.
Anfang Februar verkündete der Konzern Pläne zur Verlagerung des Marzahner »Hasse & Wrede«-Werkes nach Tschechien. Die komplette Belegschaft soll entlassen werden. Ab Oktober soll die Produktion verlagert werden. Abgeschlossen sein soll der Prozess 2018.
Die Knorr-Bremse AG mit Hauptsitz in München ist Marktführerin im Bereich der Bremssysteme für Schienen- und Nutzfahrzeuge. Bei der Tochtergesellschaft Hasse & Wrede werden Drehschwingungsdämpfer in verschiedenen Größen – von 19 Zentimetern bis zu einem Durchmesser von 3,4 Metern – hergestellt. Das Unternehmen macht satte Gewinne, 2015 waren es 645 Millionen Euro, die Umsätze liegen bei über fünf Milliarden Euro. Auch die Bilanzen von Hasse & Wrede können sich sehen lassen. Dennoch gibt die Münchner Zentrale als Begründung für die geplante Schließung an, der Erhalt des Standortes in Marzahn sei »wirtschaftlich nicht sinnvoll«. Die Verlagerung sei Teil eines Maßnahmenpakets zur »Stärkung des Schienenstandorts Berlin«. Die Produktion von Systemen für Schienenfahrzeuge solle hier zukünftig »gebündelt« werden.
In das Gebäude, in dem jetzt Hasse & Wrede untergebracht ist, soll 2018 die von Knorr-Bremse erworbene PowerTech mit 350 Mitarbeitern aus Tegel einziehen. Und weil Knorr-Bremse schon vor Jahren aus dem Arbeitgeberverband und der Tarifbindung ausgestiegen ist, sollen die PowerTech-Kollegen zukünftig 42 Stunden arbeiten statt 35 Stunden – ohne Lohnausgleich. »Steinzeitkapitalismus« nennt die IG Metall das. »Angleichung der Arbeitsverhältnisse bei der Tochtergesellschaft an die im Konzern gültigen Regelungen«, heißt es bei Knorr-Bremse. Das Vorgehen reiht sich ein in eine jahrelang praktizierte rigide Unternehmensführung.
Bis 2003 galt auch bei Hasse & Wrede die 35-Stunden-Woche. Sie wurde damals zunächst auf 40 Stunden, drei Jahre später auf 42 Stunden erhöht – auch das ohne jeden Lohnausgleich. Die Kollegen waren bereit, dieses Opfer zu bringen und unbezahlte Mehrarbeit für den Konzern zu leisten, weil ihnen im Gegenzug die Standortsicherung versprochen wurde. Dass die Firma sich nicht an ihren Teil der Abmachung hält, macht Uwe Poeggel besonders wütend. »Wir Mitarbeiter haben einen Haufen investiert. Zum Dank werden wir jetzt auf die Straße gesetzt«, sagt er. »Viele sind Alleinernährer, die rechnen mit dem Lohn. Manche haben angefangen zu bauen. Aber das wird vom Management gar nicht berücksichtigt.«
Poeggel findet, auch ein Managergehalt müsse man sich verdienen. Einfach nur Rationalisieren, damit Eigentümer Heinz Hermann Thiele weitere Milliarden anhäufen könne, ist nach seinem Verständnis kein gutes Management. Außerdem hält er die Unternehmensstrategie für kurzsichtig. »Die Drehschwingungsdämpfer werden in 30 Jahren nicht mehr gebraucht«, sagt Poeggel. Aber man könne mit dem vorhandenen Maschinenpark durchaus auf Innovationen und damit auf die Zukunft setzten. Doch darüber habe es, so Poeggel, von Seiten des Konzerns keine Gespräche gegeben, die Pläne wurden ohne die Belegschaft gemacht. Der Betriebsrat, dem auch er angehört, möchte nun Alternativkonzepte zum Erhalt des Werkes vorlegen.
Bei Hasse & Wrede gibt es keine gewerkschaftlich straff organisierte, kampferprobte Belegschaft. Doch als am 17. März auf Initiative der PowerTech-Kollegen ein Autokorso von Tegel nach Marzahn fuhr und eine Kundgebung vor dem Werkstor stattfand, standen fast 90 Prozent der Mitarbeiter von Hasse & Wrede draußen. Das erfüllte Uwe Poeggel mit Stolz. Und mit Hoffnung. Auch wenn die Aussichten düster sind, sagt er, sei es das Ziel des Betriebsrates, das Marzahner Werk zu erhalten.
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