Ein unangenehmer Gegner

Die DFB-Elf tritt am Sonntag in Baku an, wo Aserbaidshans Herrscherfamilie sich müht, Korruption und Menschenrechtsverletzungen vergessen zu machen

Es ist beinahe ein Spitzenspiel, wenn das Team von Joachim Löw auf dem Weg zur WM 2018 am Sonntag in Baku antritt. Zwar ist Gastgeber Aserbaidshan nur 89. in der FIFA-Weltrangliste, doch unter dem neuen kroatischen Trainer Robert Prosinecki - der einstige Profi bei Real Madrid und FC Barcelona übernahm das Amt von Berti Vogts (2008 bis 2014) - hat die Auswahl eine Art Renaissance erlebt: Nach vier Spielen liegen die Kaukasier mit sieben Zählern auf Rang drei der Europa-Qualifikationsgruppe C.

Der Bundestrainer gibt sich vor dem Auftritt in Baku professionell vorsichtig. »Wir werden uns konzentriert vorbereiten. Das Spiel ist kein Selbstläufer«, sagt Löw. Er sei aber »absolut überzeugt, dass wir unsere Siegesserie fortsetzen.« Vier Siege in vier Qualifikationsspielen gelangen der DFB-Auswahl bisher.

Sein Gegenüber Prosinecki prophezeit für Sonntag ein ausverkauftes Stadion in Baku und ein »Spektakel für das ganze Land«, wie er dem Fußballblatt »kicker« versichert: »Und falls wir nicht verlieren, würde Aserbaidshan explodieren!«

Im 31 000 Zuschauer fassenden altehrwürdigen Tofik-Bachramow-Stadion im Zentrum von Baku werden die Spieler am Sonntag auflaufen. Mit dem Match gegen den Weltmeister hätte der aserbaidshanische Verband zwar auch das neue 69 000 Zuschauer fassende Nationalstadion füllen können. Doch die 650 Millionen Euro teure, mit LED-Paneelen illuminierte Arena ist dieser Tage schon für das Sporthighlight des Jahres geblockt: In 48 Tagen werden hier die Islamischen Spiele der Solidarität eröffnet, ein zwölftägiges Multisportfest, bei sich dem sich mehr als 3000 Sportler aus 57 Nationen in 20 Sportarten wie Leichtathletik, Schwimmen, Karate oder Handball messen.

Vor einer Woche startete der Kartenvorverkauf für die Islamischen Spiele mit dem in Aserbaidshan üblichen Personenkult um die Herrscherfamilie: Präsident Ilham Alijew und seine Gattin Mehriban bekamen feierlich die ersten Tickets für die Spiele überreicht.

Die Alijews sind seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Macht. Schon der Vater des Präsidenten, Geidar Alijew, ein ehemaliger KP-Hardliner, führte die öl- und gasreiche Ex-Sowjetrepublik zehn Jahre als Staatschef mit harter Hand. Heute wird er als Gründervater des jungen Landes inszeniert. Sein Porträt ist in der Hauptstadt Baku allgegenwärtig: Es prangt an Hauswänden, U-Bahn-Eingängen oder in der Mitte von Kreisverkehren.

Seit Geidar Alijews Tod 2003 regiert sein Sohn Ilham das Land autoritär, seine Gattin hat er im Februar per Dekret zur Vizepräsidentin gemacht. Möglich wurde dies durch ein Verfassungsreferendum im Herbst, das Alijew noch weiterreichende Befugnisse zugesteht. So wird der Präsident künftig für sieben Jahre gewählt. Bei der letzten Wahl bekam Alijew fast 85 Prozent der Stimmen, die OSZE lobte zwar die friedliche Wahl, stellte aber fest, dass »durch systematische Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit keine Wettbewerbsgleichheit zwischen den Kandidaten gegeben war.«

Die Alijews und ihre Günstlinge schaffen systematisch Milliardenwerte außer Landes, wie Menschenrechtler und unabhängige Journalisten, so z.B. die lange Zeit inhaftierte Khadija Ismailova, immer wieder aufdeckten. Die Alijew-Töchter Leyla und Arzu tauchten in den »Panama Papers« auf: als Eigentümerinnen von Offshore-Firmen, über die sie Anteile an einem Großkonzern und einer Goldmine halten. 144 politische Häftlinge soll es laut Opposition derzeit in Aserbaidshan geben.

Um sich jedoch die Ölkundschaft im Westen gewogen zu halten, investieren die Alijews in »Kaviardiplomatie« (Amnesty International) und die prestigeträchtige Organisation von internationalen Events: »Alijews Familie nutzt vor allem Sportereignisse, um sich gegenüber westlichen Ländern in einem guten Licht darzustellen« beklagt Nijat Mammadbayli, Rechtsanwalt und früheres Vorstandsmitglied der oppositionellen NIDA-Jugendbewegung gegenüber »nd«: »Den einfachen Leute indes fehlt es am Nötigsten.«

Mammadbayli verweist auf Berechnungen einheimischer Oppositionsgruppen, nach denen für Sportereignisse in Aserbaidshan seit 2015 insgesamt mehr als sechs Milliarden Dollar ausgegeben wurden. Neben den Europaspielen 2015, die nach Schätzungen etwa vier Milliarden Euro gekostet haben sollen, richtete Baku 2016 unter anderem die Schacholympiade, die U17-Fußball-EM und den jährlichen »Großen Preis von Europa« der Formel 1 aus. 90 Millionen Euro kostet das Rennen pro Saison, etwa soviel wie die Islamspiele 2017.

2020 werden in Baku drei Vorrundenspiele und ein Viertelfinale der Fußball-EM ausgetragen - im Nationalstadion, das mit seiner glitzernden Fassade sinnbildlich für die Verschwendung des Ölgeldes und die Instrumentalisierung des Sports in dem neototalitären Land steht. Wer sich am Stadion in ein Taxi setzt, muss nur ein paar Kilometer fahren, um sich von dem Missverhältnis zwischen den spektakulären Wolkenkratzern im Zentrum Bakus und der Armut in den Vororten zu überzeugen. In Sichtweite des Stadions rattern im Stadtteil Balaxani die Ölpumpen, während Familien in windschiefen Behausungen unter bitterer Armut leiden.

Wegen sinkender Ölpreise und des daraus resultierenden Währungsverfalls sind die Lebensmittelpreise stark gestiegen. »Es ist ein Irrsinn, Milliarden für Sportereignisse auszugeben, die dem Land keinen Nutzen bringen«, sagt Menschenrechtler Nijat Mammadbayli. »Wir brauchen keine teuren Sportstätten, sondern Büchereien, Schulen, Universitäten.«

Die schwierige wirtschaftliche Situation hatte womöglich auch eine gute Seite: Für die Olympischen Sommerspiele 2024 bewarb sich Baku nicht. Um 2016 und 2020 hatte man sich noch bemüht. Olympia bleibt dennoch ein leuchtendes Fernziel für Präsident Alijew. Der Autokrat ist schließlich auch Präsident des Nationalen Olympischen Komitees.

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