In Rambo-Manier gegen Mossul

Amnesty: Hunderte Zivilisten bei Angriffen der US-Luftwaffe auf die irakische Stadt getötet

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Kampf um die nordirakische Millionenstadt Mossul, die zweitgrößte des Landes, geht offenbar in seine entscheidende Phase. So viel ist trotz der Armut an gesicherten Fakten klar. Seit jetzt mehr als fünf Monaten läuft eine Offensive zur Rückeroberung der größten Stadt, die die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) seit ihrem Eindringen in Irak und Syrien unter ihre Kontrolle gebracht hatte.

Das war im Juni 2014. Jetzt sitzen die IS-Milizen nur noch im kleineren Westteil der vom Tigris geteilten Stadt, und auch dort ist ihre militärische Lage auf Dauer aussichtslos. Der IS ist in West-Mossul abgeschnitten von der Außenwelt und damit von jeglichem Nachschub an neuen Kämpfern, Lebensmitteln und Waffen. Vor allem aber steht ihm jetzt nicht nur eine numerische Übermacht an Militär gegenüber, sondern auch kriegserprobte Truppen, die sich auf Hightech-Unterstützung aus der Luft verlassen können.

Das ist vor allem die US Air Force, die im Rahmen einer sogenannten Anti-IS-Koalition bereits Hunderte Luftangriffe auf Mossul geflogen hat, offenbar ohne Rücksicht auf Verluste unter sogenannten Nichtkombattanten, also Nichtkriegsteilnehmern, d. h. Zivilisten. Nach einem in der Nacht von Montag zu Dienstag verbreiteten Untersuchungsbericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International seien bei den Attacken der US-Kampfflugzeuge Hunderte Zivilisten getötet worden.

Dazu zählen auch jene mehr als 100 Personen, die vor einer Woche bei einer gewaltigen Explosion in der Stadt ums Leben gekommen waren. Die Vereinten Nationen haben nun die Anti-IS-Koalition aufgefordert, beim Kampf gegen die Terrororganisation zivile Opfer möglichst zu vermeiden. Die Bombardierung von IS-Stellungen in dicht besiedelten Gebieten Mossuls gerate schnell zu einer tödlichen Falle für Zivilisten, zitierte dpa den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, den Jordanier Said Raad al-Hussein, am Dienstag in Genf. Beim Kampf um den Westteil der Stadt seien seit Mitte Februar mindestens 307 Menschen ums Leben gekommen, monierte Said, wobei der jordanische Prinz den Hauptteil der Schuld allerdings dem IS zuschiebt. Dieser missbrauche immer mehr Einwohner als lebende Schutzschilde. »Das verletzt die einfachsten Grundnormen des menschlichen Anstands und der Moral.«

Ende vergangenen Jahres hatte das Mitglied des jordanischen Königshauses allerdings noch anders argumentiert. Damals hatten Frankreich und die USA Russland im UN-Sicherheitsrat heftig attackiert, weil bei Angriffen auf Rebellenstellungen in Syrien Schulen und andere zivile Einrichtungen getroffen worden sein sollen. Das russisch-syrische Argument, die Regierungsgegner in Aleppo würden sich quasi hinter Einwohnern verschanzen und diese damit in Geiselhaft nehmen, hatte der UN-Vertreter damals nicht teilen wollen.

Seine ganz eigene, aber - weil derzeit in Ost-Mossul - äußerst kompetente Sicht hat der Publizist Jürgen Todenhöfer. »Amerikanische Spezialkräfte sitzen gut gelaunt mit ihren Computern auf einer sonnigen Dachterrasse in (Ost)-Mossul. Sie koordinieren mit Hilfe von Luftaufnahmen die Ziele ihrer nächsten Bombenangriffe«, schrieb der einstige CDU-Bundestagsabgeordnete dieser Tage in seinen »Aktuellen Beiträgen«. »Die Verwüstungen in Mossul sind inzwischen schlimmer als die in Ost-Aleppo. Während ich dies heute schreibe, suchen Helfer im Stadtteil Mossul Al-Jadida nach den verschütteten Toten eines US-Bombardements letzter Woche. Über 200 Zivilisten starben! So etwas nennt man ein Massaker. Niemand soll offenbar die zerfetzten Frauen und Kinder in Mossul Al-Jadida sehen. Für Journalisten wurde das Gebiet daher inzwischen abgesperrt.«

Da Deutschland zur Anti-IS-Koalition gehört, sind diese »Massaker« zunehmend auch hier Thema. Was Steffen Seibert dazu äußerte, wird jenseits seiner Koalition als zumindest deplatziert betrachtet. Es sei »für uns bestürzend«, wenn es »zu solchen Unglücken« komme, hatte der Regierungssprecher zu dem Bericht von Amnesty erklärt. Die Grünen sprechen von einer »neuen Rambo-Mentalität« in der US-Terrorbekämpfung. Berichte über zivile Opfer im Kampf gegen den IS stellten die Legitimation der Koalition gegen die Terrororganisation infrage, hieß es am Dienstag weiter in einer Erklärung des Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Anton Hofreiter.

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