Sisi macht mobil gegen den Terrorismus
Ägyptens Präsident will mittels Ausnahmezustand Angriffe auf Christen und andere Gläubige verhindern
Ägyptens Militär ist zurück auf den Straßen. In den Städten patrouillieren Soldaten, sind in Kampfmontur vor öffentlichen Einrichtungen, Kirchen und Gemeindezentren postiert. Und seit Montagmittag, ein Uhr Ortszeit, haben sie weitreichende Befugnisse: Militär und Polizei dürfen ohne Richterbeschluss verhaften und durchsuchen; das Recht auf einen Anwalt, auf einen baldigen Haftprüfungstermin gibt es nun nicht mehr.
Denn am Sonntag waren bei zwei Anschlägen auf koptische Kirchen in Tanta und in Alexandria mindestens 47 Menschen ums Leben gekommen. Ägypten befinde sich nun endgültig im »Krieg gegen den Terror«, so Präsident Abdelfattah al-Sisi in einer Fernsehansprache. Er steht jetzt unter erheblichem Druck: Ende April wird Papst Franziskus im Land erwartet. Sisi kündigte an, dass Montagmittag ein dreimonatiger Ausnahmezustand beginnt.
Zwar muss das Parlament dies innerhalb einer bestimmten Frist bestätigen. Doch das gilt als Formalie. In Politik und Öffentlichkeit herrscht derzeit weitgehend Konsens, dass »besondere Maßnahmen« erforderlich sind, wie derzeit vielfach in sozialen Netzwerken gefordert wird. Denn zum einen waren die Anschläge am Palmsonntag die jüngsten in einer mittlerweile langen Serie von Angriffen, zu denen unter anderem auch ein Anschlag auf eine russische Passagiermaschine im Herbst 2015 zählt. Zum anderen waren am Sonntag nicht ausschließlich Christen ins Fadenkreuz des Islamischen Staates geraten: Kurz nach den Explosionen in den beiden Kirchen wurden in der Sidi-Abdel-Rahim-Moschee, einem berühmten Sufi-Schrein in Tanta, sowie in einer Jungenschule in Alexandria weitere Sprengsätze gefunden. Die Bomben hätten wohl gezündet werden sollen, sobald sich eine größere Menschenmenge dort versammelt, vermuten die Ermittler.
Der Islamische Staat habe mittlerweile in Ägypten einen Organisationsgrad erreicht, der zu einer großen Gefahr für den Staat werde, sagt Innenminister Magdy Abdel Ghafar. Die Organisation, die hier unter dem Namen Wilajat Sinat auftritt, hat sich auf der unwegsamen Sinai-Halbinsel eine Basis geschaffen; Ägyptens Militär führt dort seit Jahren einen weitgehend erfolglosen Kleinkrieg gegen die selbst ernannten Glaubenskrieger, die sich vor allem aus Gruppen rekrutieren, die noch vor wenigen Jahren vor allem auf den Drogen- und Menschenschmuggel nach Israel sowie den Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen spezialisiert waren. Israelische und ägyptische Ermittler, die eng zusammenarbeiten, gehen davon aus, dass sich der Islamische Staat auf dem Sinai auch heute noch weitgehend durch solche Aktivitäten finanziert, und der Schulterschluss mit dem Islamischen Staat in Syrien und Irak vor allem dazu dient, Ägypten und Israel auf Distanz zu halten.
Die Strategien ähneln dabei jenen des Islamischen Staates in Irak und in Syrien: Man schlägt koordiniert zu, zielt darauf ab, nicht nur möglichst viele Opfer, sondern auch den größtmöglichen gesellschaftlichen Schaden zu verursachen.
Denn die Anschläge zielten dorthin, wo es viele Ägyptern am meisten schmerzt: auf das fragile, oft zerbrechliche Spannungsfeld der Religionen. Gut zehn Prozent der Bevölkerung sind koptische Christen; vor allem unter konservativ-islamischen jungen Ägyptern sind antichristliche Ansichten verbreitet; auch Abneigung gegenüber Anhängern des Sufismus ist in solchen Kreisen stark präsent.
Immer wieder verwüsteten Angehörige der Muslimbruderschaft, die bis zum Putsch im Sommer 2013 mit Mohammad Mursi den Präsidenten stellte, Kirchen und Sufi-Schreine, griffen Andersgläubige an, nachdem radikale Prediger dazu aufgehetzt hatten: Die Christen seien für die Absetzung Mursis verantwortlich, hieß es. »Der Islamische Staat versucht nun, diese Kräfte für sich zu gewinnen«, sagt Abdel Ghaffar, »er will an die Stelle der Muslimbruderschaft treten, um Ägypten von innen heraus zu zerstören.«
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