Lohnbremsen lösen sich nur langsam
Studie analysiert die Gründe, warum die Gehälter trotz hoher Beschäftigung international nur wenig zulegen
Die Betriebe in Schleswig-Holstein zahlen ihren Vollzeitbeschäftigten durchschnittlich 4681 Euro brutto monatlich. Diese vom Statistikamt Nord am Donnerstag veröffentlichte Zahl klingt nach einem auskömmlichen Einkommen, doch so viel erhalten lediglich die Beschäftigten in der Energieversorgung. Im Gastgewerbe sind es nur 2104 Euro brutto.
Dass der moderate wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre nicht bei allen ankommt, darauf verweist auch der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. »Die unteren 40 Prozent der Beschäftigten haben real weniger verdient als Mitte der 1990er Jahre«, erklärte Sozialministerin Andrea Nahles.
Nun fallen die Löhne in Deutschland im EU-Vergleich im Schnitt recht hoch aus. Aber nicht hoch genug, meinen die Volkswirte der Gewerkschaft ver.di: »Die Löhne und ›Lohnnebenkosten‹ in Deutschland sind vor dem Hintergrund der riesigen Exportüberschüsse zu niedrig.«
Unterstützung kommt sogar von den Ökonomen der Commerzbank. »Die Löhne legen vergleichsweise wenig zu«, schreiben sie in einer aktuellen Untersuchung. Dabei herrsche in Deutschland wie auch in den USA nahezu Vollbeschäftigung. Die nach international vergleichbarer Methode berechnete deutsche Arbeitslosenquote ist auf 3,8 Prozent gefallen, die US-amerikanische auf 4,7 Prozent.
Die Bankanalysten nennen mehrere Gründe für die Entwicklung: Die Globalisierung deckele die Löhne und schwäche die Verhandlungsposition der Gewerkschaften. Mit der wirtschaftlichen Öffnung Chinas und zahlreicher anderer Länder seit Anfang der 1990er Jahre habe sich das globale Arbeitsangebot um viele hundert Millionen Beschäftigte erhöht. Unter erhöhtem Konkurrenzdruck standen zunächst vor allem weniger qualifizierte Arbeitskräfte in der Industrie, die grenzüberschreitend handelbare Güter herstellt. Dann gerieten weitere Arbeitsplätze unter Druck. Unternehmen in den Industrieländern verlagerten Teile ihrer Produktion ins Ausland, und die Drohung weiterer Verlagerungen habe die Werktätigen zu Lohnzugeständnissen gedrängt, um ihre Jobs zu sichern. Die Beschäftigten gerieten zudem politisch unter Druck, etwa durch großzügige Arbeitsvisa in den USA für ausländische Fachkräfte.
Hinzu kam eine »enttäuschende« Produktivitätsentwicklung, wodurch der Verteilungsspielraum sank. So ist in den USA das reale Bruttoinlandsprodukt je Arbeitsstunde 2016 lediglich um 0,2 Prozent gestiegen. Auch in Deutschland und anderen Hochlohnländern verlaufe die Produktivitätsentwicklung »unbefriedigend«. Ferner begünstige die über lange Zeit niedrige Inflation niedrige Lohnabschlüsse, da der Inflationsausgleich weniger wichtig ist als in Zeiten hoher und schwankender Inflationserwartungen.
Diese verschiedenen »Lohnbremsen« werden sich wohl nur langsam lockern, erwartet die Commerzbank. Immerhin mehren sich Hinweise, dass die Globalisierungswelle ausläuft. »Nicht zuletzt politischer Widerstand steht einer weiteren Globalisierung im Wege«, erklären die Bankvolkswirte wohl schon mit Blick auf den G20-Gipfel in Hamburg.
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