Theresa May hofft auf bessere Brexit-Rendite
Von den vorgezogenen Neuwahlen in Großbritannien dürften vor allem die regierenden Konservativen profitieren
Klar Schiff also zum vorgezogenen Wahlgefecht. Premierministerin Theresa May gibt an, den Einfluss jener Brexit-Gegner bei Labour, Liberalen und schottischen Nationalisten eindämmen zu müssen, die ihr den parlamentarischen Weg zum EU-Austritt erschwert hätten. Dabei konnte sie trotz einiger Scheingefechte, vor allem mit dem nicht gewählten, also untergeordneten Oberhaus, alle Brexit-Termine letztlich ohne Probleme einhalten. Labour dagegen hat den Spagat zwischen Brexit-Gegnern und -Befürwortern nicht bewältigt und im Unterhaus zu allem Ja und Amen gesagt. Und um die publizistische Unterstützung für ihre Wahlentscheidung braucht May auch nicht bange zu sein. Die Londoner »Daily Mail« etwa hat schon zum konservativen Wahltriumph aufgerufen: »Zermalmt die Brexit-Saboteure!«
Was waren also die wirklichen Beweggründe, die May nach mindestens sieben Absagen gerade jetzt zu Neuwahlen bekehrt haben? Kann es sein, dass sie die Umfragen, die ihrer Partei zu Ostern einen nahezu uneinholbaren Vorsprung von 21 Prozentpunkten vor Labour bescheinigten, zum Umfallen bewegt haben? Oder der Status als nicht einmal durch die eigenen Parteimitglieder gewählte Premierministerin? Die einzig verbliebene Konkurrentin, Andrea Leadsom, hatte ihre, allerdings chancenlose Gegenkandidatur, freiwillig zurückgezogen. Beide Punkte spielten sicher eine Rolle. Doch ist Brexit der entscheidende Faktor gewesen - allerdings nicht in dem Sinne, den die Pfarrerstochter angibt.
Man darf nie vergessen, dass May bei der EU-Abstimmung für »Remain« plädiert hat, für das Verbleiben in der Union. Im Vergleich zum damals regierenden David Cameron zwar im lauwarmen Ton, aber trotzdem blieb sie den »Brexitern« suspekt. Dank der geringen Unterhausmehrheit und mit pausenloser Unterstützung durch die rechte Presse konnte der rechte Tory-Flügel May bis jetzt vor sich her treiben. An ein schnelles Freihandelsabkommen mit der EU etwa glaubt sie wohl kaum.
Da die bisherigen Partner in Brüssel Abspaltungsneigungen in anderen Mitgliedsländern verhindern wollen, hätte May beim regulären Wahltermin 2020 nichts Gutes zu erwarten. Gewinnt sie in diesem Jahr am 8. Juni, wäre die Konservative beim nächsten Urnengang zudem schon im Rentenalter und könnte an ihren jetzigen Außenminister Boris Johnson übergeben. Also: jetzt oder nie!
Labour hofft laut Parteichef Jeremy Corbyn auf keinen Brexit-Wahlkampf. Lieber möchte sich die Partei jetzt auf Mays Austeritätspolitik konzentrieren, für öffentliche Investitionen in Schulen und im Gesundheitswesen argumentieren. Labour bleibt jedoch gespalten, auch die neue Massenmitgliedschaft wird wohl nicht viel helfen. Und ein »Präsidenten-Wahlkampf« ist ausgeschlossen: May wird von 50 Prozent der Wähler unterstützt, Corbyn von nur 14 Prozent. Die Spitzenfrau der Tories hat bereits alle Fernsehdebatten abgesagt - im Gefühl, sie nicht nötig zu haben.
Für Tim Farrons Liberaldemokratische Partei ist der Wahlkampf dagegen ein Geschenk. Nachdem sie 2015 statt der zuvor über 50 Wahlkreise nur noch acht gewinnen konnte, blühen die Liberalen als Vertreter der 48 Prozent Brexit-Gegner im Lande wieder auf. Sie werden vielleicht in Südwestengland Boden zurückgewinnen, ohne aber Mays absolute Mehrheit zu gefährden.
Bei den Schotten sehen die Wahlthemen anders aus. BBC-Korrespondentin Sarah Smith tippt auf eine Wahlschlacht zwischen den in Edinburgh regierenden Nationalisten (SNP), die eine zweite Unabhängigkeitsabstimmung anstreben, und den Konservativen, die das vorläufig verhindern wollen. Die Nationalisten, die May wahltaktischen Opportunismus vorgeworfen haben, werden hervorheben, dass die meisten Schotten gegen Brexit stimmten; dass allerdings auch 30 Prozent der SNP-Wähler für den EU-Austritt votierten haben, wird gern verschwiegen. Labour hat in Schottland auf absehbare Zeit nichts zu melden.
Bleiben Wales und das zur Zeit führungslose Nordirland. Leanne Wood von der Walisischen Nationalistenpartei hofft auf weitere Zugewinne und kritisiert Mays Regierung. Bei den Nordiren, die jetzt zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit an die Urnen gehen sollen, könnte Wahlmüdigkeit herrschen. Aber die Gefahr einer »harten« Grenze zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU dürfte den katholischen Parteien, Sinn Féin und den Sozialdemokraten, die für eine vereinigte Insel Irland eintreten, Auftrieb geben. Hier könnten die protestantischen Demokratischen Unionisten Federn lassen. Im Augenblick denken nur die Wenigsten an eine Wiederaufnahme des langjährigen Bürgerkrieges. Ob die absehbare Schlammschlacht einer siebenwöchigen Wahlkampagne den Friedensprozess fördert, darf jedoch bezweifelt werden.
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