»Ich bin schon im Gedächtnis des Sports verankert«
Radsportlegende Gustav-Adolf Schur über eine erneute Nominierung für die »Hall of Fame des deutschen Sports«, in den ihn die Jury 2011 nicht aufnehmen wollte
Herr Schur, wie sehr sehnt es Sie nach der »Hall of Fame des Deutschen Sports«?
Ich bin Jahrgang 1931, wer nach so vielen Jahren nicht weiß, was Schur tut, was er geleistet hat und wie er sich engagiert, der hat nichts begriffen. Ich habe mich immer und überall anständig betragen, ich habe nicht gedopt und habe das auch erläutert. Die Hall of Fame ist sicherlich eine gute Sache - als Gedächtnis des Sports. Aber ich glaube, in dem bin ich sowieso schon fest verankert.
Die Jury für die Ehrenhalle lehnte Sie im Jahr 2011 bereits einmal ab. Finden Sie es gut, dass die Stiftung Deutsche Sporthilfe, der Deutsche Olympische Sportbund und der Verband Deutscher Sportjournalisten einen neuen Anlauf unternehmen, Sie in die Ehrenhalle zu bringen?
Ich finde, wenn all diese Gremien dafür sind, spricht dass doch für sich. Natürlich gefällt mir das.
Gustav-Adolf Schur, genannt Täve, gewann zweimal die Friedensfahrt und war 1958 sowie 1959 Straßenradweltmeister der Amateure. Der Sportler aus Heyrothsberge bei Magdeburg - 1979 zum beliebtesten DDR-Sportler aller Zeiten gewählt - war von 1958 bis 1990 Abgeordneter der Volkskammer und saß von 1998 bis 2002 für die PDS im Bundestag. Schur steht derzeit erneut zur Wahl als Kandidat für die »Hall of Fame des deutschen Sports«. 2011 hatte ihn die Jury nicht in die Ehrenhalle gewählt. Dass der 86-Jährige nun erneut zur Wahl steht, empört Dopinggegner wie Langlauftrainer Henner Misersky, der die Nominierung einen »Schlag ins Gesicht der vom Leistungssport in der DDR aus politischen Gründen Ausgegrenzten, der Dopinggegner und Opfer« nennt. Der Verein »Doping-Opfer-Hilfe e.V.« protestiert, weil Schur eine »zentrale Propagandafigur des kriminellen DDR-Sports« gewesen sei. Mit Täve Schur sprach nd-Redakteur Jirka Grahl.
Die Dopingopferhilfe nennt sie eine »zentrale Propagandafigur des kriminellen DDR-Sports«. Können Sie diese Sichtweise nachvollziehen?
(lacht) Das ist doch eine gezielte Provokation, muss ich sagen. Es steht für mich derzeit eher die große Frage, was wir denn noch vom Westdoping in Erfahrung bringen können. Was auf der Ostseite passiert ist, wissen wir. Was im Westen passiert ist, erfahren wir erst so langsam, jüngst zum Beispiel durch die Doktorarbeit eines Apothekers. Die deutsche Dopingvergangenheit muss insgesamt aufgeklärt werden, in Ost und West. Und ehrlich gesagt, ich bin 86. Derlei Diskussionen sind mir mittlerweile viel zu anstrengend.
Sie waren in der DDR ein Idol, haben Sie das Gefühl, dass Sie auch eine Propagandafigur waren?
Na sicherlich. Propaganda, ja, wer macht das nicht? Das machen doch heute alle, auf der ganzen Welt: Nehmen Sie nur Radprofi Lance Armstrong, der war sogar bei US-Präsident George W. Bush zu Gast, der wurde da empfangen. Mit dem Sport lässt sich immer renommieren.
Wo war der DDR-Sport kriminell?
Das ist doch ... Das halte ich für völligen Quatsch. Dagegen müsste man eigentlich vorgehen. Aber wer hat dazu schon die Muße? Der DDR-Sport war nicht kriminell, sondern vorzüglich aufgebaut: Der Aufbau der sportlichen Gesundheit der Bevölkerung aus den Kindergärten heraus über den Schulsport bis hin zu den Leistungssporteinrichtungen war einmalig. Ob es so etwas je wieder geben wird, steht in den Sternen. Schließlich braucht man das passende Gesellschaftssystem dazu.
Anders gefragt: Was war gut am DDR-Sport und was schlecht?
Der Sport in der DDR war gut, weil er beispielhaft den Aufbau der Gesundheit vorantrieb und dabei auch noch international erfolgreich war. Wir brauchten damals diese Siege, aber dahinter stand eigentlich auch ein ungeheure Motivation. Wir haben gezeigt: Es gibt eine Ehre im Sport. Es ging um Ruhm und Ehre damals und eben nicht ums Geld. Es ist so, wie mein verstorbener Radsportkollege Walter Meier gedichtet hat: »Heute starten die Modellathleten/ einzig und allein noch für Moneten!«
Es gibt genügend Zeugnisse, die beispielsweise das Doping Minderjähriger im DDR-Sport belegen.
Ich kenne diese Berichte, ja. Das begann in den 60er Jahren, da ist im Westen schon ganz anderes gelaufen: Ich weiß, dass schon 1952 in Freiburg fleißig geforscht wurde - am Aufputschmittel Pervitin, das zuvor im Krieg von der Wehrmacht verwendet worden war. Nur soviel: Wir hatten in der DDR keine Dopingtoten, anders als im Westen. Der Tod der Leichtathletin Birgit Dressel hat sich gerade zum 30. Mal gejährt. Aber eigentlich will ich mich auf diese Diskussion gar nicht mehr einlassen.
Mal abgesehen von der Ehrenhalle des deutschen Sports: Welche Auszeichnung war denn die schönste in Ihrem Leben?
Im sächsischen Lichtenstein hängt eine Bronzeplatte mit »Täve Schur«, ringsherum hängen da nur Olympiasieger! Das macht mich stolz. Und in Magdeburg gibt es eine Platte, die an die großen Sportler der Region erinnert. Bei mir steht »Olympiasilber 1960« drauf. Aber meine zwei Friedensfahrtsiege fehlen da leider: Das ist alles Politik!
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