Israelische Härte gegen Hungerstreikende

Machtdemonstration um die Person Barghouti, den »palästinensischen Mandela«

  • Oliver Eberhardt, Doha
  • Lesedauer: 3 Min.

Die palästinensischen Medien hatten die Nachricht vom Hungerstreik noch gar nicht gebracht, als überall in den palästinensischen Gebieten Tausende auf die Straße gingen, informiert durch Nachrichten in sozialen Netzwerken, von Verwandten und Freunden. Denn die von Israel inhaftierten Palästinenser sind in Palästina ein emotionales Thema: Die Familien der Gefangenen werden von der Regierung finanziell unterstützt; in der Öffentlichkeit ist die Solidarität groß, zumal dieser Hungerstreik anders ist als vorangegangene Aktionen dieser Art.

Gut 1000 Häftlinge, so viele wie nie zuvor, verweigern seit dem 17. April, an dem in Palästina der Tag der Gefangenen begangen wird, die Nahrungsaufnahme. Offiziell geht es dabei um bessere Haftbedingungen: Man fordert eine Klimatisierung der Gefängnisse, häufigere Verwandtenbesuche, auch von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren; Satellitenfernsehen steht ebenfalls auf der Forderungsliste.

Zum Hungerstreik aufgerufen hatte Marwan Barghouti: Als Anführer der Tanzim-Miliz, die der im Westjordanland regierenden Fatah nahesteht, gehörte Barghouti zu den Schlüsselfiguren der zweiten Intifada; 2002 wurde er von israelischem Militär gefangengenommen und wegen Terrorismus und Mordes zu fünf mal lebenslänglich und einmal 40 Jahren Haft verurteilt; nach israelischem Recht wird für jeden Schuldspruch eine eigene Strafe verhängt.

In Palästina wird Barghouti oft als »palästinensischer Mandela« bezeichnet; in der Haft stieg er zu einer politischen Figur auf, deren Beliebtheit heute ihren Höhepunkt erreicht hat. Verantwortlich dafür sind vor allem der Stillstand in den Verhandlungen mit Israel und der zunehmend als Autokrat gesehene Präsident Mahmud Abbas.

Der Hungerstreik setzt Abbas nun unter erheblichen Druck. Innerhalb der Fatah tobt ein Machtkampf um die Nachfolge des 82-jährigen Abbas. Prominentester Anwärter: Barghouti. Doch Abbas macht keinen Hehl daraus, dass er diese Option ablehnt, sogar für schädlich hält. Barghouti habe keine Erfahrung in der Tagespolitik, könne aus dem Gefängnis heraus gar nicht angemessen reagieren, sagte Abbas im vergangenen Jahr in einem Interview.

Der Hungerstreik ist dementsprechend auch eine Machtdemonstration: Dass so viele Häftlinge dem Aufruf Barghoutis folgten, zeigt, wie gut er vernetzt ist, dass er auch über Ansehen unter jenen Gefangenen verfügt, die der mit der Fatah verfeindeten Hamas zugerechnet werden. Während Gilad Erdan, Israels Minister für innere Sicherheit, Barghouti umgehend in Isolationshaft verlegen ließ und allen Hungerstreikenden mit Sanktionen drohte, mahnt man im Umfeld der israelischen Geheimdienste zu Bedacht: »Mit Jahija Sanwar hat im Gazastreifen selbst für Hamas-Verhältnisse ein Radikaler die Macht übernommen«, sagt der ehemalige Schin-Beth-Chef Avi Dichter, der heute für die Regierungspartei Likud im Parlament sitzt: »Man muss ernsthaft diskutieren, ob ein Präsident Barghouti nicht die notwendigen Fähigkeiten für eine Mäßigung mitbringen würde.«

Doch an den meisten Israelis gehen solche Gedankenspiele derzeit vorbei. In Israels Öffentlichkeit und Politik werden die Häftlinge, von denen aber bis zu 500 ohne Urteil auf Grund von Anordnungen des Verteidigungsministeriums inhaftiert sind, als kaltblütige Mörder hingestellt; man werde sich keinesfalls erpressen lassen, drohte Erdan und ordnete die Einrichtung eines Lazaretts direkt neben dem Gefängnis an, in dem die meisten der Streikenden inhaftiert sind. Israelische Medien vermuten, dass Häftlinge dort zwangsernährt werden sollen, und so die Anonymität des Personals gewährleistet bleibt.

Zwar hatte die Knesseth vor zwei Jahren per Gesetz die zwangsweise Ernährung erlaubt. Doch kurz darauf verfügte die Ärztekammer, dass medizinische Einrichtungen und Ärzte, die dabei mitmachen, ihre Zulassung verlieren.

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