Ni Le Pen, ni Macron: Mélenchon hält am linken Lager fest
Elsa Koester über die Entscheidung des linken Ex-Kandidaten in Frankreich, vorerst keine Wahlempfehlung für Macron auszusprechen
Es war abzusehen: Der Einzug von Emmanuel Macron und Marine Pe Pen in die Stichwahl wird zum Endkampf zwischen dem neoliberalen Kosmopolitismus und dem autoritären Nationalismus hochstilisiert. Alle demokratischen Kräfte müssen sich gegen die faschistische Gefahr vereinen, so lautet der Ruf der Sozialdemokratie und der Konservativen in Europa. Nur einer spielt da nicht mit. Der linke Ex-Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon hat in seiner Rede nach der Wahl nicht zur Wahl Macrons aufgerufen. Stattdessen kündigte er an, seine 450.000 Unterstützer über eine Wahlempfehlung abstimmen zu lassen und das Ergebnis auf der Plattform seiner Partei »Das aufständische Frankreich« zu veröffentlichen. Dieser Schritt ist sowohl mutig als auch äußerst riskant: Mutig, weil er konsequent zu einem eigenständigen linken Lager hält und dies nicht im Neoliberalismus aufgehen lässt. Riskant, weil ein Wahlsieg Le Pens nicht ausgeschlossen ist.
Es ist nicht neu, dass die Linke seit Erstarken der autoritären Rechten in Europa in einem Dilemma ist. Die Kampflinie erstreckt sich nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen Neoliberalismus und Autoritarismus. Das heißt auch, dass eine liberale Politik und Kultur nur zu haben ist in Verbindung mit einer neoliberalen Wirtschaftsweise. Ein Dilemma: Denn eine demokratische und anti-autoritäre Politik, die sexuelle Vielfalt und Gleichberechtigung fördert, die die Lebenssituation von Geflüchteten für ebenso wichtig hält wie diejenige der Alteingesessenen, wird auch von links gewünscht. In Verbindung mit der neoliberalen Wirtschaftsweise verkommt das Versprechen individueller Freiheit durch die Abschaffung sozialer Sicherheit jedoch zur Heuchelei. Durch die völlige Vernachlässigung der populären Klassen in der sozialdemokratischen und konservativen neoliberalen Politik der vergangenen Jahre wurde der Aufstieg der ultrarechten Front National überhaupt erst möglich. Wer dieser These nicht glaubt, sollte einen Blick auf die Wahlkarte Frankreichs werfen: Die schwarz gefärbten Regionen, Hochburgen der Front National, sind nahezu identisch mit den Zentren extrem hoher Arbeitslosigkeit.
Macrons Liberalismus ist besser als Le Pens Autoritarismus
Macron ist die Verkörperung jenes sozialdemokratischen Neo-liberalismus. Immerhin, er setzt auf eine demokratische Bewegung, kritisiert das verkrustete Parteiensystem, setzt auf Europa statt auf Nationalismus und gibt sich antirassistisch und feministisch. Für das solidarische Zusammenleben von Geflüchteten und Französ*innen mit und ohne Migrationshintergrund ist das nicht unwesentlich. Eine Linke, die Macron und Le Pen gleichsetzt, unterschätzt die verheerende Zerstörungskraft, mit der eine radikale Rechte in der Regierung ans Werk geht. Verwunderlich, muss man doch nur nach Polen oder in die Türkei schauen, um dies zu erahnen: Die Pressefreiheit wird systematisch eingeschränkt bis abgeschafft, Schwangerschaftsabbrüche erschwert, Vergewaltigung relativiert, das Verfassungsgericht entmachtet oder die Justiz »gesäubert«. Demokratische Strukturen und eine demokratische Kultur wird so nachhaltig zerstört. Wer glaubt, dass so eine autoritäre Regierung zu einer Stärkung der Linken oder der außerparlamentarischen Bewegung führt, der ist sehr optimistisch.
Deshalb muss die Linke im zweiten Wahlgang selbstverständlich für Macron stimmen, denn dieses Schreckensszenario kann er verhindern. Gleichzeitig ist aber auch denkbar, was der französische Soziologe Didier Eribon vor der Wahl schrieb: »Eine Wahl Macrons bedeutet in fünf Jahren eine Wahl Le Pens.« Der parteilose Politiker kündigte ein Wirtschafts- und Sozialprogramm an, das die antisoziale Politik der vergangenen Jahre nahtlos fortführen und verschärfen soll. Erwerbslose sollen nach deutschem Vorbild - »Fordern und Fördern« - kontrolliert werden. Das umstrittene Arbeitsgesetz von 2016 soll erweitert werden, Unternehmensvereinbarungen sollen Vorrang vor Branchentarifvereinbarungen bekommen, die Beschäftigung von MindestlohnverdienerInnen durch einen Wegfall von Sozialabgaben belohnt und Überstunden von Sozialabgaben ausgenommen werden. Macron ist, wie Felix Syrovatka schreibt, der französische Gerhard Schröder. Seine Politik wird die Politikverdrossenheit und den Hass auf den Liberalismus stärken.
Ein dritter Pol jenseits von Macron
Die Wahl zwischen Macron und Le Pen lässt keine linke Option. Die Entscheidung Mélenchons, keine Wahlempfehlung für Macron auszusprechen, ist daher politisch konsequent. Nicht weil Macron genauso schlimm wäre wie Le Pen. Sondern weil Mélenchon angetreten ist, um die politische Krise, um die Alternativlosigkeit von Neoliberalismus oder Autoritarismus aufzubrechen. Wenn die Linke tatsächlich einen dritten Weg aufzeigen will, der für eine soziale und gleichzeitig liberale Politik steht, dann kann sie sich nicht wieder in das neoliberale Lager eingliedern. Dann muss sie weiter am Aufbau eines linken Lagers arbeiten. Alles andere wäre unglaubwürdig und würde die Bewegung schwächen.
Denn Eribon wird mit seiner pessimistischen These nur dann Recht behalten, wenn sich in den kommenden fünf Jahren die Machtverhältnisse nicht verändern. Sollte es der Linken jedoch gelingen, den dritten Pol um Mélenchon weiter auszubauen und eine starke liberal-linke Alternative zum Neoliberalismus aufzubauen, sieht die Situation anders aus. Die Bewegung um Mélenchon endet nicht mit der Wahl.
Rund die Hälfte der Mélenchon-Wähler*innen werden wohl für Macron stimmen, sagen Umfragen, etwa zwölf Prozent verwirrter Sozial-Nationale für Le Pen, der Rest wählt nicht oder ungültig. Für die Zukunft zentral ist jedoch, dass Mélenchon angekündigt hat, mit seiner Bewegung »Das aufständische Frankreich« weiterzumachen. Der dritte Pol ist gebildet – immerhin 19,6 Prozent der Wähler*innen stimmten für diese Option. Es gilt, ihn zu halten – jenseits von Macron.
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