Rentner reparieren Gedenkstätte
Ehemalige Berufsschullehrer aus Bremen helfen das fünfte Jahr in Folge in Sachsenhausen
Die Flügeltür an der ehemaligen Pathologie in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen war unten total verfault. Pensionierte Berufsschullehrer aus Bremen haben sie ausgehängt, neue Holzlatten eingesetzt und die Türen frisch gestrichen. Ein Flügel liegt noch aufgebockt und trocknet.
Das fünfte Jahr in Folge sind die die Rentner da, die früher Lehrlinge im Bremer Schulzentrum Alwin-Lonke-Straße als Maurer, Maler und Tischler sowie in anderen Bauberufen ausgebildet haben. Mit Lehrlingen sind sie seit 1994 immer wieder nach Sachsenhausen gefahren. »Lernen und Arbeiten« heißt das Projekt, das immer noch läuft und mehrfach ausgezeichnet wurde. Wie die alten Lehrer, so reparieren und renovieren auch die jungen Leute. Im September reist wieder eine Gruppe von ihnen an. Führungen in der Gedenkstätte und ein Gespräch mit einem Zeitzeugen gehören zum Programm. So helfen die angehenden Bauarbeiter der Gedenkstätte. Sie lernen zugleich Handwerkstechniken an bis zu 80 Jahre alten Objekten, die teilweise heute im Bauwesen kaum noch zum Einsatz kommen, etwa Holzfenster. Außerdem erfahren die Lehrlinge etwas über die Geschichte des Ortes und über die Nazizeit.
Hans-Joachim Gries war Schulleiter. 2012 trat er in den Ruhestand. Als er vorher Katrin Graf, die an dem Schulzentrum selbst Tischlerin gelernt hatte, als Lehrerin einstellte, hat er ihr gesagt: »Dir ist hoffentlich klar, dass du das Projekt einmal übernehmen musst!« Das hat sie auch getan. »Das Lehrlingsprojekt wird fortgeführt. Das war uns Rentnern wichtig«, sagt Gries am Donnerstag.
2013 ist die Rentnerbrigade ohne Lehrlinge nach Sachsenhausen gefahren, um das Fortbestehen des Jugendprojekts zu organisieren. »Es hat allen so großen Spaß gemacht, dass wir 2014 wieder gekommen sind«, erinnert sich Gries. So ging es immer weiter und es sind fünf Jahre daraus geworden. Eigentlich sollte schon 2016 Schluss sein. Deswegen ist Gedenkstättensprecher Horst Seferens gespannt, ob es nun tatsächlich das letzte Mal ist.
»Jetzt ist wirklich Schluss«, schmunzelt Gries. Schließlich sei der Älteste, Achim Dziggel, inzwischen 78 Jahre alt. Doch das merkt man Dziggel kaum an. Fleißig und agil bessert er den Betonsockel einer Treppe an der alten Wäscherei aus. Vor zwei Jahren hat er sogar noch hoch oben an der Fassade gewerkelt, ist dazu auf ein schmales Gerüst geklettert. »Da war mir ganz schön mulmig«, gesteht Dziggel. Diesmal bat Gries, als er mit der Gedenkstätte absprach, was zu tun sei: »Möglichst kein Gerüsteinsatz mehr.«
Auch ebenerdig ist noch genug zu tun. Die Berufsschullehrer pinseln in der Wäscherei die Wände. Vor der Tür streicht Helmrich Büsing mit einer Maurerkelle über ein Betonteil mit einer stumpfen Spitze. So sehen die Abdeckkanten auf der Lagermauer aus. Etliche Originalteile sind derart zerbröselt, dass sie sich nicht mehr ausbessern lassen. Darum hat Büsing spezielle Holzverschalungen entwickelt und gebastelt, mit denen er die Betonteile vor Ort nachmachen kann. Die Idee kam ihm in einer Mußestunde während eines Urlaubs in der Karibik. Da die Mauer jedoch rund drei Kilometer lang ist, kann der 69-Jährige das Arbeitspensum allein in einer Woche nicht bewältigen. Die Lehrlinge sollen im September weitermachen.
Seit 1998 sind übrigens auch Lehrlinge des Eduard-Maurer-Oberstufenszentrums aus dem brandenburgischen Hennigsdorf mit dabei. Zwischen den Lehrern aus beiden Berufsschulen sind Freundschaften entstanden, erzählt der mittlerweile 75-jährige Peter Herbst, der in Bremen hauptsächlich Tischler ausgebildet hat.
Wenn Gries und seine elf Kollegen heute einen Raum in der Gedenkstätte betreten, dann fällt ihnen sofort ein, was sie in all den Jahren mit den Lehrlingen oder allein dort gemalert, gemauert, gezimmert oder geschweißt haben. »Hier kenne ich mich aus«, stellt Hans-Joachim Gries befriedigt fest. Er ist nun 70 Jahre alt.
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