Blasen aus dem »Sachsensumpf«
Ex-Staatsanwältin und ein Kriminalist kommen wegen Verfolgung Unschuldiger vor Gericht
Dresden. Für die einen hat es ihn nie gegeben, andere hegen bis heute Zweifel: Schlagzeilen über den »Sachsensumpf« dominierten den Frühling und Sommer 2007 in Sachsen und warfen ein Zwielicht auf den Freistaat. Angeblich sollten Politiker, Justizbeamte und Polizisten in Netzwerke der Organisierten Kriminalität verwickelt sein. Die Vorwürfe stammten aus Dokumenten des Verfassungsschutzes. Externe Prüfer im Auftrag der Staatsregierung kamen aber zu dem Schluss, dass die Akten der Geheimdienstler bewusst aufgebauscht worden waren. Auch die Ermittlungen der Staatsanwälte brachten nichts zu Tage.
Die CDU-geführte Landesregierung hielt die Anschuldigungen deshalb für entkräftet und legte die Affäre zu den Akten. In den Medien wurde aus der Korruptionsaffäre eine Aktenaffäre. Ein Untersuchungsausschuss des Landtages versuchte eine Aufarbeitung. Vertreter von Regierung und Opposition bewerteten die jeweiligen Zeugenbefragungen meist gegensätzlich. Vor Gericht mussten am Ende allein Leute erscheinen, die als Journalisten über die Affäre berichtet hatten oder als frühere Zwangsprostituierte hochrangige Justizbeamte als Freier wiedererkannt haben wollten. Nun kommt es noch einmal zu einem juristischen Nachspiel.
Ein Untersuchungsausschuss des Landtages befasste sich bis zum Sommer 2014 mit der »Sachsensumpf«-Affäre, ohne das Ganze wirklich aufklären zu können. Die damalige Opposition aus LINKE, SPD und Grünen ging in ihrem Minderheitenvotum zum Abschlussbericht davon aus, dass die Affäre im Jahr 2007 zielgerichtet »abmoderiert« wurde und aus dem Justizministerium heraus eine Einflussnahme auf Ermittlungen erfolgte. Als eigentlichen »Sachsensumpf« sahen die drei Parteien den Umgang der Justiz mit den Anschuldigungen. Dabei listeten sie zahlreiche Ungereimtheiten auf und sparten nicht mit Vorwürfen: verschwundene Akten, Einflussnahme von oben, Einschüchterung von Zeugen, neue Seilschaften und ein fragwürdiger Korpsgeist der Justiz. Sachsens damalige CDU/FDP-Koalition bestritt dies und sah auch keine Belege für ein Netzwerk der Organisierten Kriminalität im Land. dpa/nd
Denn die beiden Kronzeugen der Affäre müssen sich von Dienstag an nun selbst vor Gericht verantworten. Die Juristin Simone H. war seinerzeit Chefin des OK-Referates im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) und reichte ihre Erkenntnisse an die Ermittlungsbehörden weiter. Nun ist die Juristin und frühere Staatsanwältin wegen Verfolgung Unschuldiger angeklagt. Ihre damalige Hauptquelle für die Vorwürfe im »Sachsensumpf«, der Leipziger Kriminalist Georg W., soll sich wegen Beihilfe verantworten. Beiden wird ferner vorgeworfen, im parlamentarischen Untersuchungsausschuss unwahre Angaben gemacht zu haben. Für den Prozess hat sich die sächsische Justiz lange Zeit gelassen. Im November 2010 war bereits Anklage erhoben worden, erst im März 2016 ließ das Landgericht Dresden die Anklage zu - um eine drohende Verjährung der Vorwürfe zu vermeiden. Offiziell gab das Gericht Überlastung als Grund für die lange Verzögerung an. Möglicherweise gab es unter den verantwortlichen Juristen aber auch unterschiedliche Ansichten darüber, ob und wie man den Fall behandeln sollte. Ein noch heute tätiger Justizbeamter galt damals als Schlüsselfigur der Affäre.
Simone H. hatte vor dem U-Ausschuss des Landtages schwere Vorwürfe gegen die damalige Führungsspitze des LfV erhoben und bestritten, dass Georg W. die einzige Quelle für die Anschuldigungen im »Sachsensumpf« war. Das alles dürfte nun noch einmal auf den Tisch kommen und damit Erinnerungen an einen Fall wach werden lassen, den viele wohl schon vergessen hatten. Bis Mitte Dezember hat das Landgericht Dresden 25 Verhandlungstage angesetzt. dpa/nd
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