Friedenseuphorie in Kolumbien ist verflogen
Linke Parteien und Organisationen versuchen, die Regierung zur Einhaltung ihrer vertraglichen Pflichten zu drängen
»Der Frieden hat es noch nicht in den Kongress geschafft«, sagt Javier Cuadros nachdenklich. Der Jungpolitiker, der im Departamento Norte de Santander für die Unterstützung des kolumbianischen Friedensprozesses wirbt, ist enttäuscht. In zahlreichen Ecken des Landes hatten unter breiter Beteiligung von politischen Kräften, sozialen Organisationen und auch einigen Wirtschaftsvertretern regionale Friedensforen stattgefunden - darunter auch in einigen sogenannten Übergangszonen, in denen sich die Kämpfer der FARC-Guerilla versammelt haben, um ihre Waffen abzugeben und damit das Ende als bewaffnete Organisation zu besiegeln. Am vergangenen Samstag dann sollte im Plenarsaal des kolumbianischen Senats, auch unter Mitarbeit von Mitgliedern der FARC und eines Mitgliedes der ELN-Guerilla, die seit Jahresbeginn in Quito über ein Ende ihres bewaffneten Kampfes verhandelt, ein »Nationaler Friedenskongress« stattfinden und eine gemeinsame Erklärung erarbeitet werden. Doch Guerilleros im Kongress, das wollte Parlamentspräsident Mauricio Lizcano nicht und untersagte kurzerhand das Vorhaben, weshalb die auf der großen Plaza Bolívar im Nieselregen Bogotás kaum auffallenden 200 Teilnehmer nun unter weißen Pavillons unmittelbar vor dem Kongressgebäude standen.
»Wir fordern, dass die Regierung dem Frieden nicht den Rücken zukehrt und sie merkt, dass die Bürger darauf achten, dass die Umsetzung der Friedensvereinbarungen mit der FARC und die Verhandlungen mit der ELN erfolgreich sind«, erklärte Adriana Restrepo von der Organisation Redepaz, die das Projekt angestoßen hat. »Deshalb wollen wir mit einem Nationalen Friedenspakt verschiedene gesellschaftliche Kräfte mit ins Boot holen.« Die Initiative geht zurück auf mehrere große Friedensdemonstrationen, zu denen nicht von etablierten zivilgesellschaftlichen und politischen Organisationen, sondern von unabhängigen Initiativen der jungen urbanen Mittelschicht aufgerufen wurde. Und zwar nach dem gescheiterten Plebiszit Ende des vergangenen Jahres, bei dem eine knappe Mehrheit der Wähler die Friedensvereinbarungen zwischen der FARC und der Regierung abgelehnt hatten.
Auch der Nationale Friedenskongress kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Friedenseuphorie in Kolumbien verflogen und der zähe Politalltag wieder Einzug gehalten hat. »Die Leute denken, dass der Friedensprozess mit dem Ende der Verhandlungen mit den FARC nun abgeschlossen ist«, sagte der Politikwissenschaftler Victor Currea de Lugo kürzlich auf einer Diskussionsveranstaltung in der Universität von Antioquia in Medellín. »Aber es gibt kein Volk im Frieden. Auf den von der Linken veranstalteten Foren diskutieren immer nur dieselben Genossen und Kameraden, dabei müssten wir uns mit Wirtschaftsvertretern und der rechten Opposition hinsetzen und diskutieren.« Currea de Lugo sagte das im Hinblick auf die abgeebbten Mobilisierungen und die Tatsache, dass die breite gesellschaftliche Debatte, die es im Rahmen der Verhandlungen mit der ELN geben sollte, bislang ausgeblieben ist. Immerhin: Der Verhandlungsführer der Regierung, Juan Camilo Restrepo, sagte auf dem Friedenskongress, in der kommenden Verhandlungsrunde, die Mitte Mai beginnen soll, werde man einen Beteiligungsmechanismus festlegen. Ansonsten hatte die erste Gesprächsrunde keine konkreten Ergebnisse hervorgebracht. Öffentlich haben sich beide Seiten bislang hauptsächlich über die Einbehaltungen von Zivilisten, die Regierung nennt es Entführungen, gestritten. Die Guerilla will zuerst darüber verhandeln und sie als wichtige Finanzierungsquelle ihres Kampfes nicht einseitig aufgeben, solange die bewaffneten Auseinandersetzungen andauern.
Auch die Umsetzung der mit der FARC getroffenen Vereinbarungen kommt nur schleppend voran. Dabei ist es nicht die Guerilla, die bislang den strikten, von der UNO begleiteten Zeitplan verzögert und bereits mit der Waffenübergabe begonnen hat. Die Demobilisierungszonen sind nach mehr als der Hälfte der 180 Tage andauernden Übergangsphase noch immer nicht fertiggestellt, die Amnestierung der rund 6000 Guerilleros läuft im Schneckentempo und der Kongress hat, trotz eines vereinbarten Schnellverfahrens, erst einen Teil der entsprechenden Gesetze verabschiedet. Hinzu kommt, das betonten auch die vielen am Nationalen Friedenskongress beteiligten Organisationen, die andauernde Ermordung sozialer Aktivisten und Bedrohungen durch paramilitärische Gruppen. »Wir drängen die Regierung mit Nachdruck darauf, die staatlichen Organe zu entschiedenen Maßnahmen zu verpflichten, die zur endgültigen Beseitigung des Paramilitarismus sowie neue Formen des organisierten Verbrechens führen«, heißt es in dem Nationalen Pakt für den Frieden. Mehr als 30 Personen wurden seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der FARC aus politischen Motiven ermordet, vergangene Woche erst wurde ein wenige Tage zuvor begnadigtes und aus dem Gefängnis entlassenes FARC-Mitglied von bislang Unbekannten ermordet. Medien berichten zufolge sollen paramilitärische Gruppen einzelnen FARC-Guerilleros bereits Zahlungen angeboten haben, wenn sie sich ihnen anschließen.
Der Kongressabgeordnete und ehemalige Menschenrechtsanwalt Alirio Uribe zog im Gespräch mit »nd« dennoch eine positive Bilanz des »Nationalen Friedenskongresses«. Die Tatsache, dass dieser letztlich nicht im Kongressgebäude stattfinden konnte, habe letztlich auch etwas Gutes gehabt. »Dank der Absage hatten wir eine riesige mediale Aufmerksamkeit. Das macht mich sehr zufrieden.«
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