Der Irrtum einer Krankenschwester

Urteile im Überblick

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Beim Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. April 2017 (Az. 8950 Js 237932/15) gingen die Richter von fahrlässiger Tötung aus, denn die 63-jährige Patientin war durch falsche Medikation verstorben.

Die Patientin hatte einen Tumor an der Lunge und war gesundheitlich stark angeschlagen. Statt des Beruhigungsmittels Melperon erhielt sie von der Schwester den Drogenersatzstoff Methadon - wegen eines Lesefehlers der Fieberaufzeichnungen. Ein sofort gegebenes Gegenmittel schlug nicht mehr an.

Der Krankenschwester wurde nicht nur der Lesefehler nachgewiesen. Schon mehrere Stunden vor der Medikamentengabe habe sie das vorgeschriebene Abgabeprotokoll ausgefüllt und damit den Kontrollmechanismus selber außer Kraft gesetzt, hieß es im Urteil. Für den tödlichen Herz-Kreislauf-Kollaps habe es keine andere Ursache gegeben.

Die Angeklagte hatte die Verwechslung der Medikamente eingeräumt, sonst aber geschwiegen. Laut Urteil war das Unglück weder auf die Arbeitsbelastung noch auf sprachliche Probleme der Krankenschwester aus Polen zurückzuführen: »Fieberkurve und Anweisungen hatte der Computer in Druckschrift ausgedruckt.« Der Verteidiger hatte Freispruch beantragt und will voraussichtlich in Revision gehen. dpa/nd

»Beurlaubung« vom Therapieplan statt Klinikentlassung

Das Bundessozialgericht erinnerte in einem aktuellen Urteil die Krankenhäuser an ihre Pflicht zur Wirtschaftlichkeit.

Will ein stationär aufgenommener schwer kranker Patient eine Zweitmeinung einholen und einige Tage über die Therapie nachdenken, kann die Klinik ihn nicht einfach formal entlassen und Tage später wieder neu aufnehmen. Vielmehr muss das Krankenhaus eine für die Krankenkasse günstigere »Beurlaubung« vom Therapieplan in Betracht ziehen, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) am 28. März 2017 (Az. B 1 KR 29/16 R).

Im konkreten Fall wurde bei einem Patienten Nierenkrebs festgestellt. Die Ärzte des Klinikums in Worms empfahlen dringend eine Operation. Doch der Eingriff barg die Gefahr, dass der Patient lebenslang auf eine Dialyse angewiesen ist. Er wollte daher eine Zweitmeinung einholen und über den Eingriff in Ruhe nachdenken. Die Klinik entließ ihn daraufhin und nahm ihn zehn Tage später für die OP wieder neu auf.

Das Krankenhaus berechnete für den ersten und für den zweiten Aufenthalt des Patienten jeweils eine Fallpauschale. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) meinte, dass die Krankenkasse weniger zahlen müsse. Denn die Behandlung sei nach der ersten Entlassung noch nicht beendet worden.

Das BSG gab dem MDK Recht. Dem Krankenhaus stehe kein weiterer Vergütungsanspruch zu. Die Klinik hätte, um wirtschaftlich zu handeln, den Versicherten »für die überschaubare Zeit entsprechend dem Therapieplan beurlauben sollen, statt ihn zu entlassen«. Entgegenstehendes Landesvertragsrecht sei nichtig. epd/nd

Klinik-Bewertungsportal haftet für Änderung eines Patientenurteils

Änderungen an Patientenurteilen können für Betreiber eines Bewertungsportals über Krankenhäuser teuer werden. Ändert ein Betreiber eine falsche Aussage eines Patienten ohne Rücksprache, muss er für die Bewertung geradestehen. Er hat sich dann die Äußerung zu eigen gemacht, so dass die Klinik einen Unterlassungsanspruch geltend machen kann.

So urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am 4. April 2017 (Az. VI ZR 123/16). Hintergrund des Rechtsstreits war die Bewertung eines Patienten über seine Behandlung in einer Klinik für HNO- und Laserchirurgie auf einem Bewertungsportal für Krankenhäuser im Internet. Der Patient hatte angegeben, dass er nach einer OP an der Nasenscheidewand - einem Standardeingriff - kurze Zeit später eine Blutvergiftung erlitten hatte. Das Klinikpersonal sei mit der Notsituation überfordert gewesen, so dass er beinahe gestorben wäre.

Die Klinik verlangte die Löschung der Bewertung, da diese unwahre Tatsachenbehauptungen beinhalte. Der Portalbetreiber fügte daraufhin ohne Rücksprache mit dem Patienten einen Zusatz ein und strich einen Satzteil. Er teilte der Klinik die Änderungen mit und meinte, dass »weitere Eingriffe« nicht angezeigt seien.

Doch damit hat sich der Portalbetreiber die Äußerungen des Patienten zu eigen gemacht, urteilte der BGH. Die Klinik habe daher einen direkten Unterlassungsanspruch gegenüber dem Portalbetreiber. Da es sich hier um unwahre Tatsachenbehauptungen handele, müsse die Meinungsfreiheit des Portalbetreibers hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klinik zurücktreten. epd/nd

Rentenanrechnung für Kindererziehungszeit im Nicht-EU-Ausland?

Außerhalb der EU geleistete Kindererziehung wird nicht auf die Rente angerechnet.

Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31. März 2017 (Az. 1 BvR 2740/16) ist es verfassungsgemäß, dass grundsätzlich nur die Kindererziehung im Inland rentenrechtlich relevant ist.

Normalerweise erhöhen Kindererziehungszeiten die Rente. Hat ein Elternteil ein Kind erzogen, werden ihm dafür Entgeltpunkte gutgeschrieben, die zur Erhöhung der Rente führen und sich am Durchschnittsverdienst aller Versicherten orientieren. Bei einer Geburt vor 1992 können bis zu 24 Monate der Kindererziehungszeit angerechnet werden, bei einer Geburt ab 1992 sind es bis zu 36 Monate.

Im entschiedenen Fall bezieht die aus Niedersachsen stammende Klägerin eine Rente. Von 1968 bis 1973 lebte sie in Kanada und brachte dort einen Sohn zur Welt. Die Kindererziehungszeit wollte sie auf ihre Rente anrechnen lassen. Die Deutsche Rentenversicherung lehnte dies ab und verwies darauf, dass Kindererziehungszeiten im Nicht-EU-Ausland nicht berücksichtigt werden könnten.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hielt die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung für verfassungsgemäß und verwies auf seine bisherige Rechtsprechung. Danach sei grundsätzlich nur die Anrechnung von Kindererziehung im Inland rentenrechtlich relevant. epd/nd

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