Seenotretter werden zum Spielball italienischer Innenpolitik

Sizilanischer Staatsanwalt wirft Nichtregierungsorganisationen Verstrickungen mit Schleppern vor / Helfer wehren sich

  • Lena Klimkeit, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.

Zuerst war da der Vorwurf, sie seien ein »Taxi für Flüchtlinge«. Für private Seenotretter im Mittelmeer ist es nichts Neues, wegen ihrer Arbeit kritisiert oder sogar mit Hass konfrontiert zu werden. Doch in Italien heizen nun Äußerungen eines Staatsanwaltes die Debatte über die Rolle der Nichtregierungsorganisationen (NGO) in der Flüchtlingskrise an. Plötzlich stehen Vorwürfe im Raum, die Carmelo Zuccaro selbst »Arbeitshypothesen« nennt.

Es gebe Beweise für direkte Kontakte zwischen NGO und Schleppern in Libyen, sagt der Staatsanwalt aus dem sizilianischen Catania. »Einige« Organisationen könnten von Schleppern finanziert worden sein. Es könnte sein, dass manche Hilfsorganisationen Migranten nach Italien bringen wollten, um die Wirtschaft zu schwächen. Nun befasst sich der Oberste Rat der Gerichtsbarkeit in Italien (CSM) mit Zuccaros Vorgehen. Medienberichten zufolge soll der Staatsanwalt außerdem vor einer Kommission im Senat sprechen.

Im Februar hatte Zuccaro erklärt, Untersuchungen zu mutmaßlichen Verbindungen zwischen Schleppern und NGO eingeleitet zu haben. Die EU-Grenzschutzorganisation Frontex hatte zuvor in einem Bericht die Vermutung geäußert, dass die Rettungsaktionen der NGO »unbeabsichtigt den Verbrechern« helfen, »ihre Ziele mit minimalem Kostenaufwand zu erreichen«. In Italien stecke jede Menge politischer Zündstoff in der Debatte. Allein 2016 kamen mehr als 180.000 Migranten an den Küsten des Landes an.

Die rassistische Lega Nord reibt sich angesichts der Äußerungen von Zuccaro seit Tagen die Hände. Die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo - in Umfragen derzeit stärkste Partei Italiens - sieht sich bestätigt in der Annahme, dass die »dunkle Rolle« der privaten Retter nicht länger ignoriert werden könne. »Wir müssen nun bis auf den Grund verstehen, was den italienischen Bürgern über die Operationen im Mittelmeer verschwiegen wurde«, schreibt die Fünf-Sterne-Bewegung.

Für große Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen (MSF), die sich aus Zuccaros Perspektive nichts zu Schulden kommen lassen haben, bleiben seine Vorwürfe nicht folgenlos. »Die Hetzkampagne hat MSF genauso getroffen wie die anderen«, sagt der Präsident von MSF Italien, Loris De Filippi. »Tagtäglich sehen wir uns mit einem schändlichen Berg an Müll konfrontiert.«

Die Hilfsorganisation erreichten jeden Tag »abscheuliche Anschuldigungen«, weil sie Menschen aus Seenot retten - seit 2015 bereits 60.390. De Filippis Stimme wird laut, wenn er darüber spricht, seine Stirn legt sich in Falten. Man merkt ihm sein Unverständnis darüber an, wie auch nur irgendjemand auf die Idee kommen kann, dass hinter der Arbeit einer Hilfsorganisation etwas Böses stecken könnte. Hilfsorganisationen hätten sich der Hilfe und Menschlichkeit verschrieben. Nun würden sie für politische Zwecke kriminalisiert.

»Wird damit beabsichtigt, die Ansicht der Öffentlichkeit und der Medien zu verunsichern, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und unsere lebenswichtige, lebensrettende Arbeit zu diskreditieren?«, fragt die Vizepräsidentin von SOS Méditerranée, Sophie Beau. Sie ist eine von mindestens zehn NGO, die im Mittelmeer vor Libyen operieren. Neben der maltesischen MOAS gibt es noch Jugend Rettet, Sea Watch, Sea-Eye, LifeBoat und Mission Lifeline aus Deutschland.

Die sozialdemokratische Regierungspartei Partito Democratico verteidigt zwar die Arbeit der NGO - Premierminister Paolo Gentiloni nannte sie vor einigen Tagen »wertvoll und willkommen« - und warnt vor einer Pauschalverurteilung. Doch Konsens herrscht in der Regierung nicht. Der rechte Außenminister Angelino Alfano sagte, er sei »zu 100 Prozent« mit den von Zuccaro eingeleiteten Untersuchungen einverstanden.

Zuletzt schaltete sich ein anderer Staatsanwalt in die Debatte ein. Es gebe zwar NGOs, die in der Zusammenarbeit mit den Justizbehörden weniger kooperativ seien als andere, sagte Francesco Paolo Giordano im italienischen Senat. Das sei aber vielmehr Einstellungssache und keine Hürde für Ermittlungen. Sein Büro habe keine Hinweise auf mögliche Verstrickungen zwischen NGO und Schleppern finden können. dpa/nd

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