Appell ans antifaschistische Gewissen
Emmanuel Macron sollte auf die Wähler des französischen Linkspolitikers Mélenchon zugehen, meint Felix Syrovatka
Wird der nächste französische Präsident Emmanuel Macron heißen? Derzeit sieht vieles danach aus, auch wenn der liberale Kandidat derzeit nur wenig dafür tut, in der Stichwahl am 7. Mai die Nase vorn zu haben. Nach seinem Sieg in der erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen scheint er eher damit beschäftigt, seine zukünftige Amtszeit vorzubereiten, als sich aktiv um die WählerInnenstimmen der anderen KandidatInnen zu bemühen. Dabei werden gerade Stimmen des drittplatzierten Francois Fillon sowie des viertplatzierten Jean-Luc Mélenchon ausschlaggebend sein, ob der nächste Staatspräsident Frankreichs wirklich Macron heißen wird.
Während jedoch der konservative Francois Fillon ebenso wie der Sozialdemokrat Benoît Hamon bereits zur Wahl von Macron aufgerufen haben, hat der linke Kandidat Jean-Luc Mélenchon bisher vermieden, sich offen für den ehemaligen Wirtschaftsminister von Francois Hollande auszusprechen. Entgegen den Gepflogenheiten der V. Republik hat Mélenchon nur vor der rechtsradikalen Kandidatin Marine Le Pen gewarnt, nicht jedoch zu einer Wahl Macrons aufgerufen. Die Mitglieder seiner Bewegung »France Insoumise« haben sich zuletzt in einer internen Abstimmung für eine Wahlenthaltung ausgesprochen. Das entspricht dem Wählerwillen, geben doch in Umfragen derzeit mehr als 58 Prozent der Mélenchon-WählerInnen an, für keinen der beiden Kandidaten stimmen und stattdessen »blanc« wählen zu wollen.
Nun könnte man davon ausgehen, dass Macron durch Zugeständnisse und Dialogangebote eben jene WählerInnen umstimmen und für sich gewinnen will. Doch das Gegenteil ist der Fall. Seit seinem Sieg in der Stichwahl hat der liberale Kandidat vielmehr alles dafür getan, die WählerInnen von Jean-Luc Mélenchon vor den Kopf zu stoßen.
Anders als Jacques Chirac im Jahr 2002 - als überraschend Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl kam - geht Macron keinen Schritt auf die französische Linke zu. Ein Dialog bleibt ebenso aus wie ein symbolisches Entgegenkommen. Stattdessen werden seine Aktivitäten als Provokationen aufgefasst. Angefangen mit seiner Jubelfeier in einem Sternerestaurant nach seinem Einzug in die Stichwahl, bei der zahlreiche WirtschaftsvertreterInnen anwesend waren, bis hin zur nicht dementierten Spekulation, die ehemalige Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes, Laurent Parisot, zur Premierministerin machen zu wollen.
Auch inhaltliche Zugeständnisse sind von Macron nicht zu erwarten. Mélenchon hatte Macron aufgefordert, im Fall seines Wahlsieges die Arbeitsrechtsreform des vergangenen Sommers rückgängig zu machen. Dies lehnte der liberale Kandidat jedoch vehement ab und kündigte vielmehr eine weiterreichende Reform des »Codes travail« an. Und auch symbolisch ist Macron nicht auf Dialog aus. Seine letzte große Wahlkampfveranstaltung in Paris hat er zeitgleich zur traditionellen 1.-Mai-Demonstration der linken Gewerkschaften abgehalten. Ein Dialog mit den WählerInnen von »France Insoumise« sieht anders aus.
Le Pen hat dagegen verstanden, dass sie um die WählerInnen von Mélenchon kämpfen muss. Seit ihrem Einzug in die Stichwahl hat Le Pen die soziale Frage in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gerückt und die WählerInnen von »France Insoumise« persönlich angesprochen. Ein gutes Beispiel dafür war ihr Besuch in einer Fabrik des Wäschetrocknerherstellers Whirlpool Anfang letzter Woche. Dieser will sein Werk in Amiens schließen, weshalb es seit Wochen von den ArbeiterInnen bestreikt wird. Während Macron sich mit Konzernvertretern und Gewerkschaften in der Industrie- und Handelskammer traf, besuchte Le Pen zeitgleich die streikenden ArbeiterInnen und versprach den Streikenden, die Schließung des Werks nach ihrer Wahl zu verhindern. Macron hatte dem wenig entgegenzusetzen. Mit seinem Habitus, die Wahl bereits gewonnen zu haben, konnte er nur darauf hinweisen, dass er keine Versprechungen zur Zukunft der Fabrik machen kann.
Emmanuel Macron scheint auf das antifaschistische Gewissen der Linken und ihr republikanisches Verantwortungsgefühl zu vertrauen. Von ihm ist daher auch in den nächsten Tagen kein Entgegenkommen an die Linke zu erwarten. Diese Strategie birgt jedoch Gefahr, dass sich zu viele nicht überwinden können, dem neoliberalen Hardliner ihre Stimme zu geben, um eine Präsidentin Marine Le Pen zu verhindern. Sein Vorsprung in den Umfragen schmilzt bereits.
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