Kein Raum für große Steuersenkungen

Ökonomen lehnen Konzept des CDU-Mittelstands ab

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Die »optimale« Steuerquote, also der Anteil der Staatseinnahmen am Bruttoinlandsprodukt, kenne auch er nicht, erklärte Gustav Horn, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der gewerkschaftsnahen Hans- Böckler-Stiftung, am Donnerstag in Berlin. Dies sei die politische Frage, die der Ökonom bei der Vorstellung der IMK-Steuerschätzung für die kommenden vier Jahre nicht beantwortete. Doch sei er jüngst in Schweden gewesen, wo man zwar mehr Steuern als hierzulande zahle, so Horn, doch sei er wegen der guten öffentlichen Infrastruktur des skandinavischen Landes »neidisch« geworden.

Von großen Steuersenkungsplänen, wie sie im aufkommenden Bundestagswahlkampf laut werden, raten Horn und sein Forscherteam ab. Die Finanz- und Wirtschaftspolitik »sollte die Stabilität der öffentlichen Haushalte und die dadurch wieder gewonnene Handlungsfähigkeit des Staates in politisch schwierigen Zeiten nicht leichtfertig verspielen«, schreiben sie in ihrer Prognose.

Die Ökonomen schätzen, dass die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen von knapp 720 Milliarden dieses Jahr auf rund 835 Milliarden Euro in 2021 steigen werden. Dabei unterstellt das IMK, dass die Wirtschaft so weiterwächst wie bisher und die Konjunktur vor allem vom Binnenkonsum angetrieben bleibt. Von einem exportgetriebenen Aufschwung würde der Bundesfinanzminister »deutlich weniger haben«, so Horn.

Die prognostizierten Zahlen klingen nach sprudelnden Steuerquellen für den Staat. Doch bedenkt man, dass wegen der Inflation nicht nur für die privaten Haushalte das Leben, sondern auch für den Staat die Erfüllung seiner Aufgaben immer teurer wird, dann bleibt vom Plus nicht mehr viel übrig. So schätzt das IMK für 2018 ein Steuereinnahmenplus von 4,4 Prozent im Vergleich zu 2017. Gleichzeitig wurde aber bereits im März auch ein Anstieg der Staatsausgaben um 3,7 Prozent prognostiziert.

Spielraum für deutliche Steuersenkungen, wie sie etwa die CDU-Mittelstandsvereinigung fordert, sieht das IMK deswegen nicht. »In Gegenwart der Schuldenbremse brauchen wir einen höheren Sicherheitsabstand, um vor konjunkturellen Einbrüchen gewappnet zu sein«, warnt Horn. Denn läuft die Konjunktur schlechter als erwartet, kann aus dem Plus schnell ein Minus werden. Und weil der Staat folgende Ausfälle kaum noch mit Schuldenaufnahmen kompensieren kann, müssten sie dann womöglich schmerzhaft eingespart werden.

Das IMK lehnt die Steuersenkungspläne wie auch die Forderung nach Abschaffung des Solidaritätszuschlags noch aus einem anderen Grund ab: Sie würde »Haushalte umso mehr entlasten, je höher ihr Einkommen ist, und somit die Einkommensungleichheit verstärken«, schreiben die Forscher. So weisen sie darauf hin, dass die wachsende Ungleichheit auch eine Folge der Steuerpolitik gewesen ist. Zwischen 1998 und 2015 wurden die 30 Prozent einkommensstärksten Haushalte steuerlich entlastet, während die restlichen 70 Prozent belastet wurden.

Und zu guter Letzt bräuchte der Staat sogar rund 20 Milliarden Euro mehr pro Jahr, um seine Aufgaben gut erfüllen zu können, schätzt IMK-Steuerexpertin Katja Rietzler. Denn der milliardenschwere Investitionsstau bei der öffentlichen Infrastruktur ist längst noch nicht aufgelöst und im öffentlichen Dienst fehlen mehr als 100 000 Stellen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.