Der Präsident braucht auch die Parlamentsmehrheit
Vieles spricht für die Bildung einer Koalition - erstmals in der Geschichte der 5. Republik
Um wirklich regieren und sein Programm umsetzen zu können, braucht das neue Staatsoberhaupt eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament. Dafür werden die Wähler schon am 11. und 18. Juni erneut an die Urne treten. Seit Monaten bereiten sich die Parteien darauf bereits landesweit intensiv vor. Sie schließen Wahlbündnisse und stimmen ihre Kandidaturen für die 577 Wahlkreise ab, um vor Ort optimale Chancen zu haben.
Meist wählen die Franzosen, um dem Präsidenten das Regieren und die Umsetzung seiner Wahlzusagen zu ermöglichen, bei der nachfolgenden Parlamentswahl mehrheitlich die Abgeordneten seiner Partei. Die bekommt so die Mehrheit der Sitze im Parlament und ihr Spitzenkandidat wird vom Präsidenten mit der Bildung der Regierung beauftragt.
Doch diesmal ist alles ganz anders, weil die beiden großen Parteien, die Republikaner und die Sozialisten, die die Rechte sowie die Linke repräsentieren und Frankreich seit sechs Jahrzehnten im Wechsel regiert haben, beide mit ihrem Spitzenkandidaten bei der Präsidentschaftswahl gescheitert sind.
Hinter den beiden Kandidaten der Stichwahl stehen keine landesweit stark verankerten Parteien, die auf ausreichend viele Sitze in der Volksvertretung hoffen können. Ob es die Partei des neuen Staatsoberhaupts bei der Parlamentswahl auf die nötige Mehrheit bringt, bleibt also abzuwarten - und ist eher fraglich. Dann aber muss der neue Präsident eine Koalition aus verschiedenen Parteien bilden, was es in Frankreich seit Bildung der 5. Republik 1958 noch nie gegeben hat.
Dagegen gab es schon dreimal eine »Cohabitation« - eine Art aktiver Koexistenz - zwischen einem Präsidenten und einer Regierungsmehrheit, die verschiedenen Lagern angehörten - 1986-88 und 1993-95 mit den rechten Premierministern Jacques Chirac und Edouard Balladur unter dem linken Präsidenten François Mitterrand und 1997-2002 mit der Linksregierung von Premier Lionel Jospin unter dem rechten Präsidenten Jacques Chirac.
So eine »Cohabitation« erfordert auf beiden Seiten viel Zurückhaltung und Diplomatie. Große Reformen oder Umwälzungen sind unter solchen Bedingungen nicht zu erwarten. Aber die Erfahrungen zeigen, dass man auf diese Weise durchaus die Zeit überbrücken kann. Der nächste Präsident kann ja dann versuchen, es wieder zu einer Mehrheit seiner Partei im Parlament zu bringen.
Bis 1958 hatte der seinerzeit durch das Parlament gewählte Präsident nur repräsentative Funktionen. »Er eröffnet Chrysanthemen-Ausstellungen«, hieß es sprichwörtlich. Doch die Verfassung der 5. Republik, die der in einer schweren Staatskrise zur Hilfe geholte Charles de Gaulle sich selbst förmlich auf den Leib geschrieben hat, gibt dem Präsidenten weitreichende Rechte und Kompetenzen. Zusätzlich bezieht er seine Autorität aus der Direktwahl durch die Franzosen, was Charles de Gaulle 1962 per Referendum durchsetzte.
Der Präsident ernennt den Premierminister, leitet die wöchentlichen Ministerratssitzungen, zeichnet die vom Parlament beschlossenen Gesetze gegen und lässt sie veröffentlichen, womit sie in Kraft treten. Vor allem vertritt er Frankreich im Ausland, und die Außen- und die Verteidigungspolitik sind seine ausschließliche Domäne.
Dagegen sind alle anderen Bereiche, vor allem die Innen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Sache der Regierung. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte kann der Präsident Auslandseinsätze allein anordnen, auch wenn er sich nachträglich die Zustimmung des Parlaments einholen muss.
Zu den Rechten des Präsidenten gehört auch die Auflösung des Parlaments und die Ansetzung von Neuwahlen. Doch das ist eine gefährliche Waffe, sie kann nach hinten losgehen. So hat Jacques Chirac 1997 das Parlament aufgelöst, weil er sich von Neuwahlen eine breitere und solidere rechte Parlamentsmehrheit versprochen hatte.
Doch überraschend siegte die Linke und stellte bis 2002 die Regierung unter dem Sozialisten Lionel Jospin. Der war dann 2002 der linke Präsidentschaftskandidat, scheiterte aber im ersten Wahlgang und so kam Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl. Um den Rechtsextremen den Weg zur Macht zu verlegen, gab es seinerzeit - anders als heute - eine »Republikanische Front« aller anderen Kräfte, so dass Chirac im zweiten Wahlgang mit 80 Prozent der Stimmen siegen konnte.
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