Ein Bekenntnis im Gesicht

Maori-Tätowierungen sind wieder populär

  • Jule Scherer, Wellington
  • Lesedauer: 4 Min.

Arekatera Maihi weiß, wie er auf Leute wirkt: ziemlich Angst einflößend. Was aber auch kein Wunder ist. Der stämmige Mann - einer von etwa 850 000 Maori, Neuseelands Ureinwohnern - trägt eine Tätowierung über sein fast gesamtes Gesicht. Die schwarzen Zeichen, Muster und Linien beginnen am Hals, ziehen sich dann über Kinn, Lippen, Nase und Augenlider bis auf die Stirn und in den Ansatz der Haare hinein. Und der ist bei Maihi, der sein Alter nicht verraten will, schon recht weit oben.

Deshalb hat Maihi, ein gelernter Holzschnitzer, lange gezögert, bis er sich auch sein Gesicht tätowieren ließ. »Man muss wissen, dass man es aushalten kann, wenn die Leute mit dem Finger auf einen zeigen und die Kamera zücken.« Jetzt ist er stolz darauf. Ta Moko, wie die uralte Art des Tätowierens in der Sprache der Maori heißt, ist für ihn das ins Gesicht geschriebene Bekenntnis zu seiner Herkunft.

Heute, nach einer längeren Zeit der Ächtung, liegen Mokos in Neuseeland im Trend. Auch Maori-Frauen lassen sich wieder im Gesicht tätowieren. Während bei Männern der Moko meist das ganze Gesicht bedeckt, tragen Frauen ihre Tätowierung traditionell nur auf dem Kinn und den Lippen. Moko Kauae heißt das dann. Als erste Abgeordnete von Neuseelands Parlament ließ sich im letzen Sommer Nanaia Mahuta (46) eines stechen. »Für mich ist das ein Ausweis meiner Identität, wie ein Reisepass«, sagte sie damals.

Früher war das unter den Ureinwohnern gang und gäbe. Bevor die weißen Kolonialherren kamen, trugen fast alle hochrangigen Maori Verzierungen im Gesicht. Auf Fotos und Gemälden aus dem 19. Jahrhundert sind Könige und Stammesführer verewigt, in deren Gesichtern kaum noch ein Fleck frei gewesen wäre. Mit einem Gesetz, dem Tohunga Suppression Act, verbot Neuseeland 1907 jedoch erfahrenen Maori (Tohunga), eine spirituelle und pädagogische Rolle auszuüben.

Damit gingen auch die kulturellen Praktiken und Handwerke der Ureinwohner fast verloren. Das Tätowieren wurde erst von jüngeren Generationen wiederentdeckt, ebenso wie andere traditionelle Künste: Whakairo (Holzschnitzerei) zum Beispiel, Raranga (Weberei) oder auch Kapa Haka, die Tänze, von denen der Rest der Welt vor allem den Kriegstanz von Neuseelands Rugby-Nationalmannschaft kennt.

Maihi, der die Holzschnitzabteilung im Te-Puia-Institut für Maori-Kunst und -Handwerk von Rotorua auf Neuseelands Nordinsel leitet, sagt: »Mokos sind mehr als eine Tätowierung. Es ist die Kunst, die persönliche Geschichte des Trägers in ein visuelles Design auf der Haut zu übersetzen.« Viele Maori meinen, dass Mokos in ihrem Körper von Geburt an angelegt sind. Irgendwann im Laufe des Lebens werden sie dann auch äußerlich durch die Tinte manifestiert.

Bei Maihi dauerte es viele Jahre, bis er so weit war. »Das ist eine große Reise, bis man bereit ist, ein Gesichts-Moko machen zu lassen.« Und er sollte es wissen. Bevor er sich das Gesicht stechen ließ, hatte er 15 Jahre lang andere tätowiert. »So lange hat es gedauert, bis ich mit mir im Reinen war. Und an dem Punkt, an dem ich nicht mehr darauf geachtet habe, was andere Leute von mir denken.«

Im Unterschied zu sonstigen Tattoos - der englischen Form des tahitianischen Wortes tatu - wurden für Mokos früher Furchen in die Haut gehämmert, mit einem Meißel aus Albatrosknochen. Dann rieb man die Farbe - hergestellt aus Ruß, Harz oder gerösteten Raupen - mit einem Kamm hinein. Einige machen das heute noch so. Aber die meisten Moko-Tätowierer benutzen heute moderne Maschinen, wie in den Studios anderswo. Die sind präziser, schneller und weniger schmerzhaft.

An einem Moko im Gesicht lässt sich vieles ablesen: Abstammung, Herkunft, Rang, Familienstand. Gegebenenfalls wird nachgebessert. Man kann sich das Design auch nicht so einfach aus dem Katalog bestellen. Normalerweise wird es vom Tätowierer zusammen mit dem künftigen Träger in einer ganzen Serie von Unterhaltungen individuell entwickelt. Das Tätowieren an sich geht dann verhältnismäßig schnell. Bei Maihi dauerte es zehn Stunden.

Rawiri Barriball ließ sich ebenfalls Zeit, bevor er zum ersten Marine-Offizier mit einem Gesichts-Tattoo wurde. »Ich liebe mein Maori-Erbe«, sagt der 39-Jährige. Trotzdem wartete er, bis er 20 Jahre in der Royal New Zealand Navy voll hatte und dann auch noch das Einverständnis seiner Vorgesetzten. Im Dezember ließ er sich stechen. »Es gibt da draußen immer noch Leute, die denken, dass Moko in der Vergangenheit bleiben sollten. Ich trage meines mit Stolz. Wer es nicht mag, soll woanders hinschauen.«

Mittlerweile sorgen sich manche Maori darüber, dass Mokos zum Trend verkommen. Auch einige europäische Touristen kehrten aus Neuseeland schon mit permanenten Verzierungen im Gesicht zurück. Wenn sich Weiße tätowieren lassen, nennen Maori dies aber nur Kirituhi - Hautdekoration. Arekatera Maihi gehört jedoch zu den Leuten, die nichts dagegen haben: »Der beste Weg, um meine Kultur lebendig zu halten, ist doch, sie mit dem Rest der Welt zu teilen.« dpa/nd

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