Die Angst vor dem Regenbogen

Elisabeth Tuider zu den Angriffen auf eine Sexualkunde der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt

  • Lesedauer: 4 Min.

Frau Tuider, die Veranstalter des Symposiums »Sexualpädagogik der Vielfalt - Kritik einer herrschenden Lehre« bezogen sich offensichtlich auf Ihr Methodenhandbuch »Sexualpädagogik der Vielfalt«. Was motivierte Sie zu diesem Projekt?
Die angesprochene Methodensammlung enthält über 70 Vorschläge für die Arbeit von Pädagog*innen. Diese finden dort ganz unterschiedliche Themen vor, die für die jugendliche Auseinandersetzung mit Sexualität interessant sein können. Wir wissen aus einer Studie, dass sich die schulische Sexualaufklärung im Wesentlichen darauf beschränkt, im Fach Biologie Wissen über die Geschlechtsorgane zu vermitteln. Aber Jugendliche interessieren sich auch für andere Themen wie Liebe und Beziehungen. Insofern geht es einer Sexualpädagogik der Vielfalt darum, verschiedene Facetten einer existierenden Vielfalt mit den Jugendlichen zu thematisieren und ihre Anliegen, Unsicherheiten und Ängste zu bearbeiten. Dabei kann es um eine lustvolle Sexualität gehen, aber auch um Grenzüberschreitungen und das Neinsagen. Eine Rolle spielt zum Beispiel auch die Frage: Was gehört für mich zur Liebe?

Die »Demo für alle« behauptet, sie stelle sich mit ihrem Protest gegen eine »herrschende Lehre«. Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Wissenschaft zur Geschlechterforschung und zur Sexualpädagogik?
Die Sexualpädagogik ist kaum verankert in der Wissenschaftslandschaft. Das ist auch das große Manko in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden. Sie sollen zwar später in der Schule fächerübergreifende Sexualerziehung praktizieren, es gibt da aber eine große Lücke an den Universitäten. In der Geschlechterforschung haben wir dagegen einen anderen Institutionalisierungsgrad. Die Frauenbewegung und die einsetzende Frauenforschung haben hierfür den Grundstein gelegt, als sie zu Beginn der 1970er Jahre die blinden Flecken der Forschung thematisierten. Obwohl es heute einige Professuren und Institute im Bereich der Gender Studies gibt, sind nur 0,4 Prozent aller Professuren auf diesem Gebiet angesiedelt. Die Darstellung, dass es quasi nur noch Geschlechterforschung an den Universitäten gebe, ist also überhaupt nicht zutreffend.

Elisabeth Tuider

Elisabeth Tuider, Professorin für »Soziologie der Diversität«, hat 2008 ein Buch zur »Sexualpädagogik der Vielfalt« mit herausgegeben. Mit ihr sprach für »nd« Jonas Fedders.

In mehreren Bundesländern kämpfen Organisationen gegen die Reform der schulischen Sexualerziehung. Sie befürchten, durch das in den Lehrplänen formulierte Ziel, die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt zu fördern, käme es zu einer »Frühsexualisierung« der Kinder ...
»Frühsexualisierung« ist eine Unterstellung, die suggeriert, dass Sexualpädagogik in einem inadäquaten Alter ansetzt. Das Gegenteil ist der Fall: Die altersadäquate und zielgruppenorientierte Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten im Bereich des Sexuellen empowert Jugendliche. Dabei stellt das Sprechenkönnen über Sexualität, über eigene Grenzen, das Nein- und Jasagen einen wesentlichen Aspekt von Schutzkonzepten dar. Sexualpädagogik geht immer von den Anliegen und Fragen der Kinder und Jugendlichen aus.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir wissen zum Beispiel relativ gut Bescheid über den Pornografiekonsum von Jugendlichen. Das ist nicht etwas, das in einem marginalen Teil von irgendwelchen Jugendgruppen stattfindet. Ein Großteil der 14-Jährigen ist bereits mit pornografischem Material im Internet in Berührung gekommen. Da entstehen Fragen und Unsicherheiten. Auch sexuelle Vielfalt ist bereits ein Thema unter Jugendlichen. Die jungen Leute leben ja nicht unter einer Glasglocke, sie sind in den Social Media unterwegs und kriegen das alles mit. Insgesamt ist die Jugendphase ja immer von Auseinandersetzungen mit Liebe, Beziehung und Sexualität gekennzeichnet. Und dort setzt die Sexualpädagogik an. Auch insofern ist der Vorwurf von »Demo für alle« nicht gerechtfertigt.

Wegen Ihrer Haltung wurden Sie 2014 in den sozialen Netzwerken massiv angefeindet und bedroht. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Debatte so hochemotional und zuweilen aggressiv aufgeladen ist?
Sexualität ist hier nur eine Chiffre, über die Ängste zum Ausdruck gebracht werden: Angst vor einer vermeintlichen »Überfremdung«, Angst vor einer »Pervertierung« und vor »Pornografisierung«. Im Kern geht es um bürgerliche Lebensvorstellungen, die in einer Welt mit schwankendem Boden verteidigt werden sollen. Die Geschlechterforschung und die Sexualpädagogik erfahren immer wieder solche Wellen von Thematisierungen.

Gibt es Unterschiede im Vergleich zu früheren Auseinandersetzungen?
Was wir in den letzten Jahren vor allem in den Social Media beobachten können, sind nichts anderes als virtuelle Übergriffe. Diese schaffen Möglichkeitsräume für sexistische, heteronormative (Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit zur allgemeinen Norm erhebend, Anm. d. Red.) und rassistische Angriffe.

Wie geht man mit diesen antifeministischen Mobilisierungen um?
Mit Sprechen.

Das heißt?
Manchmal ist es ein Dagegensprechen, manchmal ein Aufklären. Hate Speech zielt ja immer auf das Silencen, also auf das Zum-Schweigen-Bringen einzelner Personen. Gerade dem sollte man sich nicht ergeben, sondern man sollte versuchen, verschiedene Gesprächsräume und Bündnisse zu schaffen. Es geht darum, für ein demokratisches, gleichberechtigtes und anerkennendes Miteinander einzutreten.

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