»Ich kenne mehrere Opfer«

Dopingopfer Uwe Trömer erklärt, wieso er Radsportlegende Täve Schur nicht in der Hall of Fame sehen wollte

  • Lesedauer: 6 Min.

Jüngst entschieden die Juroren, dass DDR-Radsportlegende Täve Schur nicht in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen wird. Wie finden Sie diese Entscheidung?
Das Konstrukt Hall Of Fame muss man insgesamt überdenken. Wollen wir nicht lieber so etwas machen wie »Die Geschichte des Deutschen Sports von 1900 bis zur Gegenwart«? Inklusive NSDAP-Mitglieder, Steuerhinterzieher, Korrupte? Und dabei aufzeigen: Sportler sind keine Helden, Sportler sind ganz normale Menschen, die schlicht auf einem bestimmten Gebiet sehr hohe Leistungen vollbringen, weil sie sehr hart dafür arbeiten, aber sie stehen nicht moralisch über dem Rest der Gesellschaft! In so einem Rahmen könnte wohl auch Täve Schur dabei sein. Aber so wie er sich heute äußert, gehört Schur nicht in die Ruhmeshalle in ihrer aktuellen Form. Seine Aussage, dass der DDR-Sport nicht kriminell war, ist wirklich ein Verhöhnen der Dopinggeschädigten. Nicht nur an meinem persönlichen Fall lässt sich das mit Beweisen belegen. Und auch im Radsport hat das DDR-Dopingsystem sogar Tote produziert.

Wen meinen Sie?
Ich kenne mehrere Opfer. Wie Sie vielleicht wissen, ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass nach der Einnahme von anabolen Steroiden als Spätfolge auch schwerste Depressionen auftreten können. Und wenn sich ein junger Mensch die Kugel gibt, hat das schon etwas mit Depressionen zu tun. Aus juristischen Gründen darf ich dessen Namen nicht nennen.

Uwe Trömer: Gedopter Juniorenvizeweltmeister

Der Juniorenvizeweltmeister von 1980, der für den SC Turbine Erfurt antrat, erlitt während eines Trainingslagers nach der Behandlung mit anabolen Steroiden (Mestanolon) ein Nierenversagen. Trotzdem wurde der damals 22-Jährige nicht etwa ins Krankenhaus gebracht, sondern wurde isoliert, bis das Medikament nicht mehr nachweisbar war – etwa drei Wochen lang. Trömer beendete daraufhin seine Laufbahn und wandelte sich zum »Republikfeind« – als Totalverweigerer und Umweltschützer. Seit der Wende gehört er zu denen, die für die Belange der Dopinggeschädigten kämpfen.  Er wirkte lange als Vorsitzender des Dopingopfer-Hilfevereins, von dem er sich mittlerweile abgewandt hat. Im Gespräch mit Jirka Grahl erklärt er, warum er es richtig findet, dass die Jury der Hall of Fame des deutschen Sports beschlossen hat, DDR-Radsportlegende Täve Schur nicht in die Ruhmeshalle aufzunehmen und welche Einsichten sich die Dopinggeschädigten gewünscht hätten.

Und wer noch?
Uwe Kirsten, er war in meiner Trainingsgruppe beim SC Turbine Erfurt und er war ein Freund. Uwe ist an Prostatakrebs gestorben. Er hinterließ neben seiner Frau auch eine Tochter, die nun ohne Vater aufwachsen muss. Der Schwimmer Torsten Karl vom SC Turbine Erfurt ist 2003 mit 40 qualvoll gestorben. Wenn Täve Schur sagt, es gab keine Toten im DDR-Sportsystem, dann stimmt das nicht. Ich habe den einstigen Gewichtheber Gerd Bonk (anerkanntes Dopingopfer mit schweren Nieren- und Organschäden - Anm. d. Red.) noch 14 Tage vor seinem Tod im Jahr 2014 zu Hause angerufen. »Ich kann nicht mehr!«, sagte Bonk. Da wusste ich: Es geht vorbei mit ihm. Und was war das einst für ein Hüne! Ich weiß noch, wie ich ihn das erste Mal gesehen hab, mit 15, 16. Ich saß mit ihm in der Sauna. Ein Riese.

Der Kugelstoßolympiasieger Udo Beyer sagte in einer TV-Dokumentation, er habe gewusst, was er da für Mittel bekomme, und so sei es bei allen gewesen, die er kannte.
Ja, diese Fälle gibt es natürlich und deshalb nehme ich das denen auch nicht übel. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass einige das so gesagt bekommen haben. Aber was keiner wusste, welche Spätfolgen das Doping haben könnte. Das ist doch das Skrupellose: In der Führung des DTSB (Deutscher Turn- und Sportbund) waren alle schriftlich darüber informiert, was alles auftreten kann - außer den Athletinnen und Athleten, die waren den Funktionären völlig egal. Denken Sie nur an die Schwimmerinnen. Eine interne Bemerkung lautete: »Die sollen schwimmen und nicht singen.« Neben Vermännlichung, Stimmveränderung und vermehrter Körperbehaarung kam es zu Vergrößerungen der Klitoris: »Wenn die zu groß wird, schneiden wir sie ab und fertig!« Derlei »Kollateralschäden« wurden brutal in Kauf genommen. Nicht jeder Einzelne, der in diesem System arbeitete, war kriminell. Aber das System als solches war schwerstkriminell. Und natürlich auch etliche der handelnden Personen darin.

Im nd-Interview hat Täve Schur an das Gute im DDR-Sport erinnert: an die Förderung der allgemeinen Gesundheit. Der Volkssport in der DDR war breit angelegt, all die Betriebssportfeste, die Spartakiaden. Können Sie sich Schurs Lob denn auch anschließen?
Täve Schur ist 86 und damit ja nun wirklich um einiges älter. Er wird in seiner frühen Kindheit und Jugend sicherlich Dinge erlebt haben, die keiner von uns erleben möchte: Krieg, Faschismus et cetera, weswegen er die DDR ja wohl so vehement verteidigt. Aber ich erinnere mich vor allem an eine Militarisierung über den Sport schon in meiner Schulzeit: Hans-Beimler-Wettkampf der FDJ mit Handgranatenweitwurf und solchen Dingen. Diese Art von vormilitärischer Erziehung, das haben die Nazis zuvor nicht viel anders gemacht.

Produziert aber der Sport nicht automatisch Helden wie auch Täve Schur, die in ihrer Widersprüchlichkeit in eine Hall of Fame gehören?
Klar, aber dann muss das Kind eben einfach anders heißen als Hall of Fame, wie gesagt. Hall of Fame, das ist ja so ein Ami-Abklatsch! Wir haben doch genügend Museen, wo solche Leute wie Täve Schur hineinkönnen. Dort kann man sich intensiv und dokumentiert mit Ihnen befassen.

Ich finde den Ansatz von Deutscher Sporthilfe, DOSB und Sportjournalistenverband richtig - zu sagen, Schur steht zur Wahl wegen des Für und Wider.
Vielleicht anders erklärt: Ich durfte mir 2011 die Aufnahme von Wolfgang Lötzsch in die Ruhmeshalle anschauen. Ich stand oben als stiller Gast auf der Empore im Hotel Adlon. Und ich war so gerührt, als dort dieser BSG-Fahrer stand, den sie in der DDR derart schikaniert und auch inhaftiert hatten, und schlicht sagte: »Ich wollte eigentlich immer nur Rad fahren.« Lötzsch gehört in diese Halle wie kein Zweiter. Wenn jemand wie Schur aber nicht mal einräumen kann, welche Fehler das System gemacht hat, spricht das nicht für den großen Charakter, als den er sich gern darstellt. Ein großer Charakter tritt nicht jene mit Füßen, die schon am Boden liegen. Und die Dopinggeschädigten sind die, die am Boden liegen. Weltmeisterlich wäre es, sich hinzustellen und zu sagen: Es tut mir total leid, was euch passiert ist. Ja, es tut mir einfach leid, und ich habe es nicht gewusst, ich habe es einfach weggedrückt.

Der Verein der Doping-Opfer-Hilfe wünscht sich eine Verlängerung der Antragsfrist für das zweite Dopingopferhilfegesetz über das Jahr 2020 hinaus. Was halten Sie davon?
Naja, ich kenne ja nun mittlerweile genügend geschädigte Sportler. Einigen habe ich geraten: Beantragt die Unterstützung beim Bundesverwaltungsamt! Es ist aber so, dass manche extreme Hemmungen haben. Denn mit einem Dopingeingeständnis im Sport ist natürlich auch verbunden, dass man irgendwann sagen muss: »Okay, ich habe nicht fair gewonnen.« Man muss stattdessen sagen: »Meine Rekorde und Siege sind durch Betrug zustande gekommen.« So was in einem Alter um die 50 zu tun, ist nicht leicht, dabei wird ja auch eine Menge der eigenen Biografie zerstört. Das ist wirklich ein Problem für viele.

Hilft da eine Verlängerung der Antragsmöglichkeit über 2020 hinaus? Um den Leuten vielleicht ein bisschen Zeit zu lassen, sich doch noch zu entscheiden?
Ich bin mir da nicht sicher. Eine Verlängerung ist vielleicht okay, andererseits sollte man es nicht unendlich hinauszögern. Ich glaube, es würde eher helfen, den Sportlern auch psychologische Betreuung anzubieten. Eine Therapie, um die Dinge mal in Angriff zu nehmen. In Sachen Verlängerung muss man sicher auch bedenken, wie lange das Thema jetzt schon präsent ist. Die Wende ist 27 Jahre her. Es gibt eine Menge schwerstgeschädigte Sportlerinnen und Sportler, aber die meisten haben sich auch schon gemeldet. Und das Thema ist ja nun seit vielen Jahren präsent. Manche Geschädigte, die an mich herangetreten sind, wollen auch einfach nicht in diese Maschinerie geraten.

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