Rechtes Kommando in der Cottbuser Kurve

Folge 114 der nd-Serie »Ostkurve«: Wie es beim FC Energie zur Eskalation in der Fanszene kommen konnte

Eine Erlösung ist es nicht, weil das Problem noch lange nicht gelöst ist: Am Mittwoch hat sich die Fangruppierung »Inferno Cottbus« offiziell aufgelöst. Ihre Mitglieder, 50 bis 60 im harten Kern und geschätzt doppelt so viele im Umfeld, werden aber wohl weiterhin im Stadion der Freundschaft und bei Auswärtsspielen des FC Energie zu sehen sein. Und sie werden weiterhin versuchen, ihre rechte Gesinnung mit Hilfe des Fußballs zu verbreiten. So wie immer in den vergangenen 18 Jahren. Und noch schlimmer: Sie beherrschen mittlerweile die aktive Fanszene beim FC Energie Cottbus.

Seit Mitte März ist es verhältnismäßig ruhig bei Spielen des FC Energie: Die Ultras schweigen, statt ihre Cottbuser Mannschaft lautstark zu unterstützen. Aus Angst! Fahnen und Banner sind auch nicht mehr zu sehen. Jens Petereins, Fanbetreuer des Klubs, drückt es so aus: »Eine Gruppe verbietet allen anderen, ihr Fandasein auszuleben.« Verständnis zeigt er für die Fans, die sich ducken. »Die Drohungen sind kriminell.« Ein langjähriger Cottbuser Anhänger berichtet, dass die Stadt überschaubar und die Bedrohungslage dort deutlich zu spüren sei. Er will anonym bleiben. Ein anderer auch. Er erzählt: »Hier geht es nicht mehr um Fußball, sondern um eine sich etablierende rechte Mafiastruktur, die sich das Stadion als Bühne und Rekrutierungsfeld gekapert hat.«

Spätestens am 19. März beim Ligaspiel in Bautzen haben die Rechten das Kommando in der Cottbuser Kurve übernommen. »Wir sind Cottbuser - und ihr nicht«, war da noch als Protest anderer Fans gegen Gewalt und Pyrotechnik, die auf das Spielfeld geworfen wurde, zu hören. Danach wurde es ruhig. Weil »Inferno Cottbus« und ihr jüngerer Ableger »Unbequeme Jugend« ihren Machtanspruch schon während dieser Partie mit Gewalt im eigenen Block durchgesetzt haben.

Vor zwei Wochen folgte der bislang negative Höhepunkt. Unschön waren die Szenen, als Cottbuser Fans in Babelsberg zweimal den Platz stürmten und das Spiel unterbrochen werden musste. Noch hässlicher wurde es, als aus dem Energie-Block Leuchtraketen auf Babelsberger Fans geschossen wurden. Nicht verschwiegen werden sollte dabei, dass dies auch in entgegengesetzter Richtung geschah. Das Erschütterndste aber war, wie offen die Neonazis auftreten konnten - mit Symbolen, Gesten und Gesängen. Mehrfach wurde der Hitler-Gruß gezeigt. »Arbeit macht frei - Babelsberg 03«, tönte es aus dem Gästeblock.

Wie konnte es zu alldem kommen? Wie konnte eine gewalttätige Gruppe aus Hooligans, Kampfsportlern, Rockern und Neonazis so mächtig werden? Gründe dafür gibt es viele. Für einen steht das Spiel in Babelsberg symbolisch. Während couragierte Cottbuser die Polizei auf Täter im eigenen Block hinwiesen, reagierten die Beamten nicht. Stattdessen setzten sie wieder massenweise Pfefferspray ein, wodurch zahlreiche Unbeteiligte, darunter auch Kinder, verletzt wurden.

Verbotene Symbole und Gesten waren das eine. Beobachter des Spiels wunderten sich aber vor allem aus einem anderen Grund über das Vorgehen der Polizei in Babelsberg. Im Cottbuser Block standen viele Vermummte. Das war leicht und unzweideutig zu erkennen - und es ist verboten, also gibt es eine klare Handlungsgrundlage. Die Polizei setzte aber wieder einmal nur auf die kollektive Bestrafung durch Pfefferspray.

Für den Verfassungsschutz ist »Inferno Cottbus« eine rechtsextreme Organisation. Kein Wunder. Die Gruppe hatte sich 1999 gegründet, bestimmte anfangs über Jahre die Energie-Kurve und machte auch damals schon aus ihrer Gesinnung kein Geheimnis. Im Dezember 2005, beim Auswärtsspiel in Dresden, stand auf einem großen Banner »JUDEN«, das »D« wurde als das Vereinsemblem von Dynamo dargestellt. Keltenkreuze oder SS-Runen gehörten zum Standardprogramm auf Transparenten, als »Zecken, Zigeuner, Juden« wurden regelmäßig die unliebsamsten Gegner beschimpft. Die Facebook-Seite von »Inferno Cottbus« zierte eine Deutschlandkarte mit den Grenzen von 1937, darüber die Aufschrift: »Unterwegs im Reich. Auswärts mit Energie Cottbus.«

Die Hinweise waren eigentlich nicht zu übersehen. Jene nicht, die auf ein Fanproblem beim FC Energie hindeuteten. Und auch nicht solche, die einen Zusammenhang zwischen gewaltbereiten Fußballfans und Neonazis aufzeigen. Genau das leugnete aber die Brandenburger Landesregierung noch im Dezember 2014. Dabei war »Inferno Cottbus« schon im Verfassungsschutzbericht des Bundeslandes für das Jahr 2010 ein Thema gewesen. Als die Gruppe ihr elfjähriges Bestehen gefeiert hatte, sollen rund 150 Rechte aus mehreren Bundesländern angereist sein. Wirklich aktiv wurden die Sicherheitsorgane aber erst im Januar 2017: Vor vier Monaten hat der Staatsschutz eine Ermittlungsgruppe eingerichtet. Dass es nun wirklich erstmals ernst werden könnte, hat »Inferno Cottbus« begriffen - und sich aufgelöst. Damit könnte die Gruppe ein mögliches Verbot umgehen wollen, welches beispielsweise Stadionverbote als Konsequenz haben könnte.

Konsequenzen gab es aber bislang keine sichtbaren. Am Donnerstag hat sich der Innenausschuss des Potsdamer Landtags mit der Thematik befasst. Das Ergebnis: nicht mehr als Schuldzuweisungen. Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) versicherte zwar, dass sich die Polizei schon lange darum kümmere, zeigte rechtfertigend aber mit dem Finger auf den FC Energie Cottbus: »Jetzt hat man auch im Verein erkannt, dass es dort ein Problem gibt.«

Im aktuellsten Brandenburger Verfassungsschutzbericht, dem für das Jahr 2015, finden Cottbuser Fans auch Erwähnung. Einen Eintrag über den SV Babelsberg 03 sucht man dagegen vergeblich. Dabei scheinen das Land und seine Sicherheitsorgane ein erheblich höheres Interesse an dessen linker Fanszene zu haben. Ende 2014 musste der Verfassungsschutz zugeben, dass Babelsberger Anhänger schon jahrelang beschattet wurden und dass dafür auch V-Männer eingesetzt werden.

Parallelen zur Entwicklung in Brandenburg lassen sich bundesweit finden. Auch in der Anhängerschaft des FC St. Pauli wird mit verdeckten Ermittlern gearbeitet. Hingegen wurde die Bildung rechter Strukturen in den Fanszenen vielerorts ignoriert oder verharmlost - wie in Aachen, Braunschweig oder Dortmund. Dort wurden und werden Ultragruppen, die offen gegen Rassismus und Antidiskriminierung auftreten, gewalttätig bedroht. Die Gefahr war und ist teilweise so groß, dass sich einzelne Gruppen auflösen mussten oder nicht mehr ins Stadion gehen.

Ahnungslosigkeit ist aber anscheinend nicht nur Ländersache. »Der Bundesregierung liegen bislang keine entsprechenden Erkenntnisse vor.« So antwortete sie Anfang 2014 auf die Anfrage der Linksfraktion. »Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über bundesweite vereinsübergreifende Zusammenschlüsse von Hooligangruppen?« Es ist schwer vorstellbar, dass konkrete Hinweise darauf, die es spätestens seit Anfang 2012 gab und die im Staatsauftrag gesammelt wurden, übersehen werden konnten. Fehlte vielleicht der Wille? Jedenfalls war die Bestürzung im Oktober 2014 groß, als 5000 (!) Teilnehmer beim Aufmarsch von »Hooligans gegen Salafisten« durch Köln tobten.

Zurück nach Brandenburg. Die Ereignisse von Babelsberg haben tatsächlich etwas Gutes: Dass das Problem nun endlich die Öffentlichkeit hat, die es erst brauchte, um ernst genommen zu werden. Das sieht auch Brandenburgs Innenminister Schröter so. »Es hat sich etwas verändert, man verdrängt das Thema nicht mehr«, sagte er am Donnerstag. Selbstkritisch waren seine Worte selbstverständlich nicht. Er versuchte vielmehr das entschlossene Engagement der Sicherheitsbehörden hervorzuheben. Zahlreiche Gespräche sollen mit Energie Cottbus geführt worden sein, viele Hinweise habe es gegeben. Aber: »Wenn der Verein das nicht umsetzt, muss man sich auch nicht wundern, wenn aus einem kleinen Krebsgeschwür eine große Wucherung entsteht«, meint Schröter.

Diese Vorwürfe begleiten Energie schon länger - und konnten nie wirklich entkräftet werden. Stattdessen spielte auch der Fußballklub den Ball immer wieder zurück. Ein Beispiel: »Was Politik und Justiz nur schwer bekämpfen können, das sollen wir als Verein in den Griff kriegen«, sagte im Juni 2013 der damalige Klubsprecher Lars Töffling. Wieder mal hatte es Probleme mit »Inferno Cottbus« gegeben. Dahinter steht die Forderung des Vereins, die Sicherheitsbehörden sollten belastendes Material liefern. Erst dann könne er tätig werden.

Formell ist diese Position richtig. Erst wenn Fehlverhalten wie Verstöße gegen die Stadionordnung oder Straftaten außerhalb des Stadions bewiesen sind, kann ein Verein Stadionverbote aussprechen. Aber einerseits wurde auch immer wieder der Wille des FC Energie in Frage gestellt, dabei aktiv mitzuhelfen. Andererseits wurde der Klub für seine Verantwortungslosigkeit und Ignoranz sowie sein allzu fahrlässiges Handeln kritisiert. Stellvertretend dafür steht der Saisonstart 2012. Der Verein bat die wichtigsten Fangruppen zum Gespräch. Für »Inferno Cottbus« kam William P., den alle nur Willi nennen. Dass er zum inneren Zirkel der mittlerweile verbotenen Neonazigruppe »Widerstand Südbrandenburg« gehörte, war bekannt. Willi habe jedoch versichert, er habe nichts mit diesen Neonazis zu tun, erzählte Töffling. Damit war die Sache für den Verein wohl geklärt. Dass Energie in dieser Angelegenheit nur (!) Willi und einige Inferno-Mitglieder befragt hatte, gab sogar Töffling zu.

»Ich habe noch nie so viele Hitlergrüße und ›Sieg Heil‹-Rufe erlebt wie im letzten Jahr.«
Cottbus-Fan

»Ich habe noch nie so viele Hitlergrüße und ›Sieg Heil‹-Rufe erlebt wie im letzten Jahr«, kommentierte ein Cottbuser Anhänger einen Artikel in der »Lausitzer Rundschau« zu den aktuellen Ereignissen. Das muss dem Verein aufgefallen sein, aber passiert ist bis zur jüngsten Eskalation nichts. Mit dem Abstieg in die viertklassige Regionalliga hat der Verein seine Fanarbeit sogar noch zurückgefahren. Stefan Scharfenberg beispielsweise ist gleichzeitig Medienkoordinator und Fanbeauftragter beim FC Energie. Seine Reaktion nach dem Spiel im März in Bautzen: »Ein Zuschauerteilausschluss wäre für uns eine Katastrophe.« Angesichts der existenziellen Probleme des Vereins - Schulden und sportlicher Niedergang - kann er anscheinend auch auf keinen zahlenden Zuschauer verzichten. Und will es auch nicht.

Vielleicht bestimmte dies auch das Handeln des Vereins in der Vergangenheit. Selbst als im Stadion der Freundschaft noch Erstligafußball gespielt wurde, war es nicht immer ausverkauft. In jedem Fall wirkt das Vorgehen des Klubs gegen »Inferno Cottbus« eher wie ein Alibi. Mal wurde die Gruppe mit einem Erscheinungsverbot belegt. Als es dann wieder etwas ruhiger geworden war, wurde es wieder aufgehoben.

Offiziell hat sich der Verein immer distanziert. Auch diesmal: »Die wollen wir nicht.« Aber wie wenig er bereit ist, wirklich zu handeln, zeigte er auch wieder. Nach dem Spiel in Babelsberg forderte er in seiner Stellungnahme die Fans auf, belastendes Material den Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen. Warum sammelt der FC Energie nicht die Beweise, wie es andere Vereine in vergleichbaren Fällen auch machen? Es sind seine Anhänger. So könnte er sie in der derzeit gefährlichen Situation auch besser schützen. Und zum Verein dürfte unter den Fans auch ein größeres Vertrauensverhältnis bestehen als zur Polizei.

Damit stellt sich auch die Frage, wie der Klub diejenigen Fans stärkt, die ihn wirklich unterstützten? Fans, die sich gegen »Inferno Cottbus« stellen und gegen Gewalt, Rassismus und Diskriminierung kämpfen. Fans die gerade bedroht werden. »Wir haben mit dem Fanprojekt Cottbus Kontakt aufgenommen und werden das Gespräch mit den Fans suchen.« Dies ist leider kein Zitat aus der Vergangenheit. Es stammt von Stefan Scharfenberg - vom März 2017, nach dem Spiel in Bautzen. Wirkliche Fanarbeit, wie sie an vielen anderen Standorten alltäglich ist, hat der Verein jahrelang nicht geleistet. Und selbst jetzt noch nicht: Der Klub habe mit drei Sicherheitsbesprechungen vor dem Babelsberg-Spiel sein Möglichstes getan, schrieb er in der Stellungnahme nach dem Spiel. Er hat es nicht. Wie aus Sicherheitskreisen zu erfahren war, wurde das Fanprojekt Cottbus eben nicht zu den Sicherheitsbesprechungen eingeladen.

In Zukunft soll alles besser werden. »Der FC Energie wird sich zeitnah am Plenum des ›Cottbuser Aufbruch‹ beteiligen«, teilte der Verein mit. Hätte er das nur früher getan. Das Aktionsbündnis ist einer der größten Partner der Stadt im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung. Gegründet wurde es von Cottbuser Bürgern, die das fremdenfeindliche Klima in ihrer Stadt ändern wollten. Das war 1999. Genau in jenem Jahr, als »Inferno Cottbus« aktiv wurde.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -