ÖVP hat nur noch Vorschlagsrecht
Alle Macht geht bei Österreichs Konservativen jetzt von Sebastian Kurz aus
Die autokratische Politwelle, die über Ankara nach Paris geschwappt ist, hat auch Österreich erreicht.
Die seit über 70 Jahren existierende Österreichische Volkspartei (ÖVP) gab ihren Geist am vergangenen Wochenende auf. So klar will das zwar niemand in der Partei sehen, aber das Eingeständnis, bei den kommenden vorgezogenen Wahlen nicht mehr als ÖVP zu kandidieren, lässt keine andere Interpretation zu.
Ausgangspunkt für die völlige Neuaufstellung der Konservativliberalen war der überraschende Rücktritt des ÖVP-Parteiobmannes und Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner von allen Ämtern. Die Suche nach einem Nachfolger gestaltete sich kurz, aber - wie sich jetzt herausstellt - schmerzvoll.
Der junge Shooting-Star der ÖVP, Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz, übernahm in Windeseile die Zügel der Macht, tauschte jedoch dabei, um im Sprachbild zu bleiben, nicht nur die Pferde, sondern auch das Fuhrwerk aus. Konkret stellte er sieben Forderungen, um sich an die Spitze der ÖVP zu stellen.
Schon die erste Bedingung zeigt klar, dass es sich beim Führungswechsel nicht um einen bislang üblichen Vorgang handelt. Kurz forderte von den Granden der großen bürgerlichen Partei nicht weniger als das Recht, mit einer eigenen Wahlliste antreten zu können. Mit anderen Worten, der Name ÖVP kommt auf dem Stimmzettel zur Nationalratswahl gar nicht mehr vor. Nächstes Mal müssen die WählerInnen ihr Kreuz bei der »Liste Sebastian Kurz - Die neue Volkspartei« machen. Die Aufgabe der ÖVP, die als Partei bestehen bleibt, erschöpft sich in der Finanzierung des Kurz’schen Abenteuers und der organisatorischen Hilfestellung für die Personenliste.
Wirklich autokratisch geht es dann bei der Erstellung der Wahllisten zur Sache. Denn auch dabei hat sich Sebastian Kurz das volle Durchgriffsrecht zusichern lassen. Der dritte Punkt seines Forderungskataloges garantiert ihm nicht nur die allein verantwortliche Bestellung sämtlicher Kandidaten der Bundesliste, sondern auch ein Vetorecht bei den Landeslisten. Mit anderen Worten: die in sechs von neun Bundesländern regierende ÖVP hat bei den kommenden Nationalratswahlen nur mehr Vorschlagsrechte, wer auf der »Liste Kurz« erscheinen darf. Dass Sebastian Kurz diese Machtfülle von allen führenden ÖVPlern zugestanden wurde, zeigt, in welch erbärmlichem Zustand sich die Partei befinden muss. Sechs Landeshauptleute und alle Chefs der ÖVP-Bünde stimmten zu, dass sie in eigener Parteisache nichts mehr zu sagen haben. Da ist es dann schon nur mehr folgerichtig, wenn dem einzig verbliebenen Hoffnungsträger auch zugesichert worden ist, dass er ohne ÖVP-Vorstandsbeschluss im Alleingang den Generalsekretär der Partei und ein eventuell zukünftiges Regierungsteam bestellen kann.
Ein Blick in die personelle Gerüchteküche, wie er von der ÖVP-nahen Tageszeitung »Die Presse« geworfen wurde, zeigt, dass für Kurz eine Mischung aus ideologisch rechten und wirtschaftlich neoliberalen Köpfen bereitsteht, künftige Regierungsämter zu übernehmen. Da wird z.B. der frühere Rechnungshofpräsident Josef Moser genannt. Der wechselte unter der Regierung Wolfgang Schüssel vom Posten eines FPÖ-Klubdirektors in den Rechnungshof. Dazu mehrere hard-core Neoliberale wie der Hotelier Sepp Schellhorn, derzeit Abgeordneter der Splittergruppe »Neos«, und die Unternehmergattin und Juristin Cattina Leitner, deren Mann einen der größten Konzerne im Land lenkt.
Mit seinem politischen Coup hat Kurz bei sämtlichen anderen Parlamentsparteien allergrößte Verwirrung gestiftet. Der Noch-Koalitionspartner SPÖ, dessen Vorsitzender und Bundeskanzler Christian Kern noch vor wenigen Tagen vorgezogene Neuwahlen ablehnte und der ÖVP eine »Reformpartnerschaft« anbot, taktiert mit dem Zeitpunkt für Neuwahlen und hat ansonsten bislang weder eine inhaltliche noch eine strukturelle Antwort gefunden.
Die Grünen wirken ähnlich konfus und wollen Neuwahlen so spät wie möglich, um sich mit einem gerade erst eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsausschuss profilieren zu können. Und die FPÖ sieht in Kurz einen harten Konkurrenten um ihre politisch Positionen, der noch dazu als starker Mann ihre Klientel an sich ziehen könnte.
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