Sieg für die Stahlhelmer
Verteidungsministerin von der Leyen knickt ein: Soldaten sollen nun selbst über Kasernennamen entscheiden
Gut 20 Jahre ist es her, dass eine Wanderausstellung »das Land spaltete«, wie es damals allenthalben hieß. Es ging um die von dem Historiker Hannes Heer für das Hamburger Institut für Sozialforschung konzipierte Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. Die 1995 eröffnete Schau präsentierte teils sehr drastisch zwar wissenschaftlich bekannte, jedoch öffentlich bis dato nicht wahrgenommene Aspekte des Zweiten Weltkriegs im Osten.
Die aufwendige Ausstellung sprach aus, dass es einen Unterschied gab zwischen der Weimarer Reichswehr und Hitlers Wehrmacht. Dass nicht etwa nur SS und »Einsatzgruppen«, sondern vielfach reguläre Einheiten an den Verbrechen eines »Feldzuges« beteiligt waren, der als »Vernichtungskrieg« konzipiert war. Sie dokumentierte den Beginn des Holocaust in den besetzten sowjetischen Gebieten, den die Führung der Wehrmacht nicht nur mit ins Werk setzte, sondern teils auch mitplante. Sie zeigte, dass dabei ganze Truppenteile involviert waren und es kaum zu Widerstandshandlungen kam. Sie erinnerte an den nach allen Standards der Kriegführung unerhörten »Kommissarsbefehl«, nach dem gefangene Politoffiziere der Roten Armee sofort zu erschießen waren - und daran, dass sowjetischen Kriegsgefangenen die Schutzrechte der Genfer Konvention verweigert wurden und ihr millionenfacher Tod in den Lagern kalkuliert war. Und sie verschwieg auch nicht, dass nicht nur Antisemitismus, sondern auch die rassistische Figur vom »slawischen Untermenschen« in der Truppe weit verbreitet war.
Gegen die Ausstellung formierte sich breiter Widerstand - nicht nur, aber vor allem bei Soldatenvereinigungen, am rechten Rand der Unionsparteien und aus der Mitte von Vertriebenenverbänden. Auch der heute wieder viel zitierte rechtsradikale Publizist Götz Kubitschek hatte in diesem Zusammenhang seinen ersten großen Auftritt. Auch wurde die Schau zum Anlass der größten Nazidemonstrationen nach dem Zweiten Weltkrieg und verschiedentlich tätlich angegriffen.
Befeuert wurde der Backlash von einigen Fehlern und Ungenauigkeiten bei der Zuordnung gezeigten Materials. Deswegen ließ das Institut die Schau 1999 prüfen und teils umarbeiten, bevor sie 2001 unter dem Titel »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944« auf Wanderschaft ging. Obwohl die Historikerkommission, die die erste Version überprüfte, an der »Grundaussage« keinerlei Zweifel äußerte, war eben diese nach der Korrektur vielfach diskreditiert.
Auch das Bundesverteidigungsministerium hatte sich seinerzeit skandalös verhalten: Es verbot Soldaten in ihrer Eigenschaft als Bundeswehrangehörige den Besuch dieser Ausstellung. Auch diese Haltung hätte die jetzige Ministerin mit ihrer Traditionsprüfung korrigieren können.
Doch zeigte sich am Dienstag auch, dass diese Schützengräben nicht verwaist sind. Es ist nicht nur die inzwischen parteilose Erika Steinbach, die eine prinzipielle Abgrenzung der Bundeswehr von der Wehrmacht offenbar noch immer als Zumutung empfindet und dazu aufruft, Wehrmachtsfotos zu verbreiten. Mit Johannes Singhammer (CSU) beklagte ein Vizepräsident des Deutschen Bundestages, die Ministerin gehe zu »pauschal« vor und verletze dabei die Gefühle vieler Menschen.
Wohl als Reaktion auf solche Stimmungen liefert Ursula von der Leyen nun statt eines klaren Schnitts einen Treppenwitz ab. Die Ministerin, die laut vorab bekannt gewordenen Zitaten aus einer Rede vom Dienstagabend davon spricht, dass »Vorgesetzte, die Konflikte meiden« Teil des Problems seien, ließ zugleich erklären, die zunächst groß angekündigte Kasernenumbenennungswelle solle »von unten« erfolgen: »Die Initiative für die Benennung einer Kaserne liegt grundsätzlich bei der dort stationierten Truppe«.
Ein probates Mittel in einer definitionsgemäß streng hierarchischen Organisation? Bleibt es dabei, werden wohl nicht viele Kasernen umbenannt. Und bleibt die Frage undiskutiert, ob eine demokratische Armee überhaupt solcher Namenspatrone bedarf.
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