»Wahrhaftig sein und das Handwerk beherrschen«

Schauspieler Peter Bause über das Stück »Judenbank« und die Herausforderung, den Schrecken des Nationalsozialismus auf die Bühne zu holen

  • Lesedauer: 4 Min.

Sie sind seit über 50 Jahren im Geschäft und nicht zuletzt für Solostücke wie Patrick Süskinds »Kontrabass« und Gogols »Tagebuch eines Wahnsinnigen« bekannt.
Seit 56 Jahren, um genau zu sein. Ich habe in über 40 solcher Inszenierungen mitgespielt und bin, scherzhaft gesagt, der Weltmeister des Einpersonenstücks. Es ist gut, die Zuschauer mitzunehmen und zu führen, sodass sie einem durch den Abend folgen können. Man kann konzentriert arbeiten. Wenn man erst mal überwunden hat, dass man ganz alleine auf der Bühne steht - von diesem Punkt läuft es wie von alleine.

In der Inszenierung der »Judenbank« spielen Sie neun verschiedene Figuren. Vor allem mit den Übergängen von einer Figur zur nächsten tun sich Schauspieler häufig schwer. Einpersonenstücke gelten deshalb auch als »Königsdisziplin« des Theaters.
Das ist eine Sache der Erfahrung. Mit einer Winzigkeit kann man dem Zuschauer sofort klarmachen, dass jetzt eine andere Person auf der Bühne steht. Die innere Haltung ist entscheidend. Wenn die innere Haltung stimmt - »jetzt bin ich der« -, dann sieht der Zuschauer das auch. Aber dieser Wechsel ist ganz einfach für mich, da stecken viele Jahre Erfahrung drin. Wenn ich sage »einfach«, dann ist das nicht allgemeingültig, es ist für mich keine Schwierigkeit.

Die »Judenbank« ist ein minimalistisches Stück: eine Bank und ein Schauspieler. Derzeit wird mancherorts die zunehmende Eventisierung des Theaters beklagt. Haben es Stücke wie die »Judenbank« heutzutage besonders schwer beim Zuschauer?
Wer in das Stück »Judenbank« geht, weiß ja, worauf er sich einlässt. Natürlich kann man das auch höchst effektvoll gestalten. Es gibt einen Kollegen in Baden-Württemberg, der macht das sehr gut, der inszeniert das Stück mit vielen Handlungssträngen. Bei mir gibt es das nicht. Meine Arbeit ist es, im Kopf des Zuschauers ein Bild zu erzeugen, das er in sich sieht, und ihn dabei durch den Abend zu begleiten. Das ist, wenn man so will, meine Entdeckung. Ich brauche fast nichts auf der Bühne. In den Kammerspielen in Hamburg haben wir nach der »Judenbank« zwei Jahre später »Bergen-Belsen« über Adolf Eichmann aufgeführt - nach dem selben Prinzip. Das hatte die gleiche Wirkung wie bei der »Judenbank«. Wenn das Bild in den Leuten da ist, kriegen Sie als Schauspieler eine atemlose Spannung hin: das Grauen, der Schrecken, die Freude. Dazu braucht es nicht viel. Wahrhaftig sein und das Handwerk beherrschen, das ist das Wichtigste für einen Schauspieler.

Was ist für Sie das Besondere an Massags Stück?
Der große Geniestreich von Reinhold Massag besteht darin, dass er die Handlung in ein Dorf verlagert hat. Das ist die Entdeckung! In dem kleinen Dorf vollzieht sich die gesamte Entwicklung, die das Dritte Reich durchgemacht hat: dass die Leute immer tiefer reinrutschen in den Faschismus, dass man sich an dieser Stelle noch äußern darf, an anderer Stelle schon nicht mehr. Andernorts wird Selbstmord begangen. Massag hat dafür in den 1990er Jahren den Bayerischen Theaterpreis bekommen - und das zu Recht! Wir hatten sehr viele Diskussionen im Anschluss an das Stück in den Kammerspielen in Hamburg. Da waren auch Vertreter jüdischer Organisationen dabei. Einer sagte, dass die »Judenbank« eigentlich das wichtigste Stück überhaupt ist, wenn es um die Verfolgung der Juden im Dritten Reich geht.

Wie würden Sie den Hauptprotagonisten Dominikus Schmeinta charakterisieren?
Er sagt ja gleich zu Beginn, dass er die Nazis nicht mag. Er erkennt die Ungerechtigkeit. Und wenn da auf der Bank, auf der er seit über 20 Jahren sitzt, steht: »Nur für Juden«, dann hinterfragt er das erst einmal. Schmeinta verfügt vor allem über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Damit bringt er die Sache zum Laufen.

Die Handlung des Stücks ist nicht frei von Komik. Ist Humor immer noch ein probates Mittel, um sich mit der Thematik künstlerisch auseinanderzusetzen?
Humorvolle Momente gibt es auch, natürlich. Das Leben geht ja trotz des Schreckens weiter. Aber die Pointen stammen aus dem Zusammenleben der Menschen. Wenn einem dabei auch manchmal das Lachen im Halse stecken bleibt.

In ganz Europa erstarken seit einiger Zeit rechtspopulistische Parteien. Wie beurteilen Sie den aktuellen Bezug des Stücks im Angesicht dieser Entwicklungen?
Hören Sie mir bloß mit denen auf. Historisch ferne, furchtbare Leute. In der »Judenbank« ist das alles drin: die Verführung, die Verfolgung. Das Stück ist ein Musterbeispiel dafür, was Tyrannei bedeutet.

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