Regieren aus der Minderheit
In der Thüringer LINKEN denkt man angesichts des Gebietsreform-Ärgers über Auswege nach
Wie so oft, hat es mit einigen wenigen Sätzen angefangen. Mit Sätzen auch noch, die ziemlich vage sind und deshalb einigen Interpretationsspielraum bieten. Diese Sätze stammen von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, gedruckt Ende April in einem Interview des LINKE-Politikers mit der »Ostthüringer Zeitung«. Dabei wurde Ramelow gefragt, ob er eigentlich glaube, dass sein rot-rot-grünes Bündnis angesichts der Turbulenzen um die Gebietsreform und der erneut auf eine Stimme geschmolzenen Mehrheit von LINKEN, SPD und Grünen im Landtag bis zur nächsten regulären Landtagswahl 2019 durchhalten werde.
Ramelows Antwort: »Ein Blick in die Thüringer Landesverfassung reicht: Die Frage ist nicht, ob ich eine Stimme Mehrheit habe oder nicht. Sondern, ob ich bis zum Ende der Legislaturperiode die notwendige Mehrheit für wichtige Gesetzgebungsverfahren bekomme.« Nur die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten könne zum Ende seiner Regierung führen. »Wenn Herr Mohring dafür eine Mehrheit sieht, soll er sich auf die Geisterfahrt begeben. Ich jedenfalls sehe die nicht«, sagte Ramelow noch und ätzte damit gegen den Fraktionschef der oppositionellen CDU im Landtag, Mike Mohring.
Für einen Regierungschef, aus dessen Bündnis da gerade die Abgeordnete Marion Rosin von der SPD zur CDU übergelaufen war, waren das bemerkenswerte Sätze. Dies umso mehr, wenn man weiß, dass es gerade in den Reihen der LINKEN einige Abgeordnete gibt, die ausgeschlossen haben, den aktuellen Vorschlag des Thüringer Innenministeriums zum Neuzuschnitt der Landkreise und kreisfreien Städte im Freistaat mitzutragen. Abgeordnete also, die das rot-rot-grüne Kernprojekt in seiner jetzigen Form ablehnen, so dass es ohne rot-rot-grüne Mehrheit im Landesparlament ist. Andererseits: Schon in der Vergangenheit haben einzelne der derzeit drei fraktionslosen Abgeordneten im Landtag bei bestimmten Projekten mit der Regierungskoalition gestimmt.
Hat Ramelow also schon in diesem Interview angedeutet, notfalls auch mit einer Art rot-rot-grüner Minderheitsregierung die Gebietsreform durch den Landtag bringen zu wollen, weil er bei der entscheidenden Abstimmung darüber mit Abweichlern in den eigenen Reihen rechnet?
Offiziell bestätigt das bei Rot-Rot-Grün freilich niemand - und nicht mal hinter verschlossenen Türen wollen sich Spitzenvertreter des Bündnisses lange mit solchen Gedankenspielen aufhalten. Vielmehr, so heißt es unisono, müsse es nun darum gehen, den aktuellen Vorschlag des Innenministeriums so zu verändern, dass er im Parlament eine echte, eigene rot-rot-grüne Mehrheit finde. In diese, nicht eben kleine Aufgabe müsse alle Energie gesteckt werden, heißt es. Nicht in Gedankenspiele über Abstimmungen, bei denen das Thüringer Regierungsbündnis auf Stimmen von anderen Landtagsabgeordneten angewiesen ist.
Allerdings ist auffällig, dass erst vor wenigen Tagen erneut ein rot-rot-grüner Stratege das Regieren per Minderheitsbündnis zur einer Option auch für Deutschland erklärte - und Ramelow eine Kontroverse um diese Einschätzung bei Twitter verteidigte. Minderheitsregierungen, schrieb Ramelow dazu sinngemäß, seien doch in nordischen Ländern schon seit Langem etabliert »und für Demokraten gelebte Realität«.
Der rot-rot-grüne Stratege, der in einem Blog-Text für die Wochenzeitung »Der Freitag« so positiv über Minderheitsregierungen schrieb, ist Thüringens Chef der Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff; ebenfalls ein LINKER. Nachdem in Nordrhein-Westfalen die verschiedenen Parteien so viele Bündnisse untereinander ausgeschlossen hätten, schreibt Hoff dort, könnte eine Minderheitsregierung in dem Bundesland ein »sinnvoller Ausweg« sein. Und eine Option für den Bund. Sie könne »ein wirksames Instrument der Regierungsführung« sein und sei »keineswegs zwangsläufig instabil«.
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