Nach Protesten: Temer fordert Armee an

Wieder wütende Demonstrationen gegen Rechtsregierung in Brasilien / Sturm auf das Landwirtschaftsministerium

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Massenproteste, Tränengas, Randale im Regierungsviertel: Die wegen Korruptionsvorwürfen massiv unter Druck geratene Regierung in Brasilien hat Soldaten gegen Demonstranten angefordert. Der an die Zeiten der Militärdiktatur erinnernde Schritt wurde nach dem Sturm von Demonstranten unter anderem auf das Landwirtschaftsministerium am Mittwoch beschlossen. 35.000 bis 100.000 Menschen nahmen an Massenprotesten gegen Staatspräsident Michel Temer teil.

Einige Demonstranten drangen dabei in das Landwirtschaftsministerium in der Hauptstadt Brasília ein und randalierten dort, wie ein Ministeriumssprecher sagte. Sie legten demnach ein Feuer, zerstörten Fotos früherer Minister und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch andere Ministerien wurden laut Regierung mit Steinen und Stöcken angegriffen.

Die brasilianische Regierung forderte Soldaten an, um die Gebäude zu schützen. Wie Verteidigungsminister Raul Jungmann erklärte, wurden die Soldaten zum Außenministerium und zu allen weiteren Ministerien in Brasília geschickt. Der Einsatz der Armee ist heikel in einem Land, das von 1964 bis 1985 unter der Militärdiktatur lebte. Zuletzt kamen Soldaten in schwierigen Sicherheitslagen oder bei Großereignissen wie den Olympischen Spielen zum Einsatz. »Das ist eine extreme Maßnahme der Regierung Temer und ein klares Signal, dass die Regierung die Kontrolle verloren hat, mit sehr schlechten Folgen für unsere Demokratie«, sagte der Analyst des Konsultingbüros Hold, André Cesar, in Brasília. Auch Senator Tasso Jereissati von der sozialdemokratischen Partei PSDB erinnerte der Einsatz von Soldaten an die Militärdiktatur.

Die Demonstration, die von Gewerkschaften und linken Gruppen organisiert worden war, verlief zunächst friedlich. Laut Behörden nahmen 35.000 Menschen teil, die Veranstalter sprachen von 100.000 Demonstranten, die mit dem Ruf »Temer weg« durch die Stadt zogen. Als der Protestzug das Regierungsviertel erreichte, kam es jedoch zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften. Die Polizei setzte Tränengas und Blendgranaten ein, einige teils vermummte Demonstranten reagierten mit Steinwürfen. Es gab mehrere Verletzte.

Die Demonstranten verlangten den Rücktritt des korruptionsverdächtigen Staatschefs, Neuwahlen und das Ende der von Temer verordneten Sparpolitik. Diese sieht vor, öffentliche Ausgaben für die Dauer von 20 Jahren einzufrieren, ein späteres Renteneintrittsalter einzuführen und die Arbeitsgesetze im Sinne der Unternehmer zu lockern.

Temer lehnt einen Rücktritt bisher trotz der massiven Korruptionsvorwürfe ab. In einem heimlich mitgeschnittenen Gespräch soll er Schweigegeldzahlungen an den inhaftierten ehemaligen Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha zugestimmt haben. Cunha, wie Temer Mitglied der rechtskonservativen Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), soll über umfassendes Wissen zu den Beteiligten in der Korruptionsaffäre um den Petrobras-Ölkonzern verfügen.

Neben der Billigung von Schweigegeldzahlungen soll Temer laut Unterlagen der Generalstaatsanwaltschaft in seiner Zeit als Vizepräsident Bestechungsgelder in Millionenhöhe angenommen haben. Cunha gilt als Drahtzieher der Amtsenthebung von Temers Vorgängerin Dilma Rousseff von der linksgerichteten Arbeiterpartei (PT) vor einem Jahr. Nach Rousseffs Absetzung hatte ihr Stellvertreter Temer ihre Nachfolge angetreten.

Temers Mandat läuft noch bis Ende 2018. Doch immer mehr Brasilianer verlangen, die Präsidentschaftswahl vorzuziehen. Der 76-jährige Temer ist Umfragen zufolge in der Bevölkerung äußerst unbeliebt. AFP/nd

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