DiEM25 will europäische Partei werden
Treffen der linken Bewegung in Berlin sucht nach »glaubwürdigem Plan« / Varoufakis: Müssen raus aus dem Gefängnis nationalstaatlicher Politik
Die linke europäische Demokratiebewegung DiEM25 will zur transnationalen Partei werden. Bei einem Treffen in Berlin wollen die Organisatoren bis Freitag die dazu nötigen Schritte beraten – die Gründung ist noch für diesen Herbst avisiert. Ob und wo DiEM25 auch zu den nächsten Europawahlen antreten, das blieb zunächst offen – dass die Berliner Konferenz unter dem Motto »Next Stop 2019?« steht, lässt aber immerhin die Frage als naheliegend erscheinen.
Noch ist man erst am Anfang der Etappe, ein »glaubwürdiger Plan« für die Gründung soll bis Freitag ausgearbeitet werden, danach folgt eine umfassende Debatte unter den DiEM25-Mitgliedern und schließlich auch eine Abstimmung.
Die Bildung der laut Yanis Varoufakis ersten wirklich paneuropäischen Partei sei aber nicht bloß organisationspolitischer Aktivismus’, sondern »notwendig, um die umfassende wirtschaftliche und soziale Agenda« von DiEM25 auch wirklich »wählbar« zu machen: den »European New Deal«. Die Bewegung reagiert damit nicht zuletzt auf die Tatsache, dass es europäische Länder gibt, in denen es für das eigene Programm keine Partner im Parteiensystem gibt. Zudem soll der Alternativplan von DiEM25 sich auch dem Votum der Bürger stellen können. Man schließe, sagt DiEM25-Mitgründer Srecko Horvat, Kandidaturen bei Wahlen jedenfalls nicht aus.
Nicht nur Varoufakis bleibt aber generell skeptisch, was die bereits bestehenden Parteien angeht. Es gebe, sagte er am Donnerstag in Berlin mit Blick auf die Bundesrepublik, in Linkspartei, bei den Grünen, den Sozialdemokraten und auch darüber hinaus »viele tolle Leute, die unseren Prinzipien sehr nahe stehen«. Gemeint ist damit aber auch: auf andere in diesen Parteien trifft dies nicht zu. Aber es geht Varoufakis nicht nur um die Kompatibilität von Positionen, sondern um einen grundlegend anderen Ansatz von Politik: den Abschied vom nationalstaatlichen Rahmen.
Ökonomisch stabilisieren, dann demokratisieren
Der frühere griechische Finanzminister erinnerte an die zentrale Frage, die DiEM25 seit der Gründung im Februar 2016 in Berlin mit den Mitgliedern beraten habe: Gibt es eine politische Agenda, die sofort umgesetzt werden könnte, also ohne Vertragsänderungen auf EU-Ebene, und mit der sich das von einer von Austerität und deutschem Exportnationalismus ausgehöhlte Europa ökonomisch und sozial stabilisieren lasse?
Varoufakis und seine Mitstreiter, inzwischen rund 60.000 Mitglieder in ganz Europa, glauben, eine solche Agenda formuliert zu haben: den »European New Deal«. Vorgestellt wurde der Plan im März dieses Jahres in der italienischen Hauptstadt anlässlich des 60. Jahrestag des Vertrags von Rom, einer der Gründungsakte der EU. Das Umbauprogramm für ein anderes Europa zielt unter anderem auf Armutsbekämpfung, grüne Investitionen, den Ausbau öffentlicher Beschäftigung, eine europäische Koordination von Steuer-, Haushalts- und Sozialpolitik, strenge Bankenregulierung und ein Ende der EU-weiten Austeritätsfesseln und wirtschaftspolitischen Fehlsteuerungen.
Grunddividende, Räumungsschutz, öffentliche Banken
Varoufakis hat ein öffentliches Bankwesen für öffentliche Zwecke vorgeschlagen, »das durch eine pragmatische, aber radikale Währungsreform innerhalb der EU und anderswo finanziert« werden soll, wobei »insbesondere alle Geldschöpfungsgewinne der Zentralbanken verwendet« würden. Ideen wie die einer allgemeinen Grunddividende, mit dem »ein größerer Anteil der wachsenden Kapitalrenditen sozialisiert werden« könne, treten ebenso hinzu wie die Forderung nach einem sofortigen Räumungsschutz, der Menschen über eine Mietberechtigung vor Zwangsvollstreckungen schütze.
Für die DiEM25-Bewegung ist eine darauf basierende ökonomische und soziale »Stabilisierung« der EU die Voraussetzung für deren Demokratisierung – der Ökonom warnte am Donnerstag in Berlin davor, sich über die Größe der Gefahr rechter Radikalisierung zu täuschen. Zugleich ist man sich auch bewusst, dass ein radikales Umsteuern in Europa in den bestehenden Institutionen und deren Politik eine schwer überwindbare Grenze findet.
Die »progressive Internationale« hat starke Gegner
Eine Alternative gibt es aber nicht, sagt Varoufakis – der gern zugibt, dass er für sich erholsameren Zeitvertreib vorstellen könnte als die Arbeit an einem transnationalen »dritten Block«, der es mit der »nationalistischen Internationale« erstarkender rechtsradikaler Parteien und mit der »Austeritäts-Internationale« neoliberaler Regierungen aufnehmen könnte. Doch wie stark ist eine solche, »progressive Internationale« derzeit überhaupt?
Horvat, Philosoph aus Kroatien und neben Varoufakis einer der Hauptfiguren von DiEM25, verweist knapp anderthalb Jahre nach der Gründung auf eine immer noch wachsende Zahl an lokalen Initiativen, auf vielerorts gelungene Bündnisse mit lokalen linken Parteien und Bewegungen, auf erste direkte Zusammenarbeit bei Wahlen wie auf kommunaler Ebene in Kroatien. DiEM25 geht mit anderen gegen die G.20 n Hamburg auf die Straße und kooperiert mit Blockupy. Bei der »Rückkehr nach Berlin«, wie Horvat das zweitägige DiEM25-Treffen nennt, tummelt sich eine internationale Szene, man spricht vorrangig Englisch, und auch die Gründungsbegeisterung des vergangenen Frühjahrs ist hier durchaus noch spürbar.
Vom »Was tun?« zum »Wie schaffen wir das?«
»Die EU wird entweder demokratisiert, oder sie wird zerfallen«, das war eines der Leitmotive der DiEM25-Gründung. Und Varoufakis sieht einige der skeptischen Prognosen von damals in den vergangenen 15 Monaten auch real eingetreten. Etwa der Brexit. Oder das starke Abschneiden der Rechtsextremen in Frankreich. Die Gefahr einer finalen EU-Krise sieht Varoufakis keineswegs gebannt. Weder die ökonomischen Indikatoren noch die soziale Lage großer Bevölkerungsteile ließen einen anderen Schluss zu.
Eine Alternative bleibt also nötig und dringend. Und DiEM25 glaubt, mit dem »European New Deal« für die nächsten Schritte gerüstet zu sein. Nach vielen Diskussionen, vielen Papieren, vielen Treffen wolle man vom »Was tun?« nun zum »Wie schaffen wir das?« übergehen.
Die angepeilte Gründung einer transnationalen progressiven Partei liegt nach Ansicht von Varoufakis notwendig auf diesem Weg. Bestehende Parteienbündnisse auf EU-Ebene wie etwa die Europäische Linkspartei werden seiner Meinung nach den Herausforderungen nicht mehr gerecht: Eine Konförderation nationalstaatlich verankerter und damit für den Griechen auch gefesselter Parteien könne eine wirklich transnationale Politik nicht umsetzen. Im Gegenteil: Sie bleibe Spielball des politischen Status quo der EU.
Dass der Ex-Minister der SYRIZA-Regierung in Athen dabei auch die griechische, also seine eigene Erfahrung im Kopf hat, liegt nahe. Griechenland sei derzeit, sagt Varoufakis mit Blick auf die fortgesetzte krisenpolitische Knebelung durch Kreditauflagen, so etwas wie der Kanarienvogel im europäischen Bergwerk: eine lebendige Warnung vor den Folgen falscher, auf marktradikalen Glaubensbekenntnissen fußender, den Interessen weniger entsprechenden Politik.
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