Der Ball, den die SPD leider liegen lässt

Tom Strohschneider über den Rubikon des Koalitionsbruchs und die demokratiepolitische Dimension eines konstruktiven Misstrauensvotums

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Statistik darüber, wie oft die Linkspartei in dieser Legislatur versucht hat, die SPD über den Rubikon des Koalitionsbruches zu ziehen, gibt es nicht: Nicht nur einmal wurden Anträge in den Bundestag eingebracht, die sozialdemokratische Forderungen enthielten – um nach deren erwartbarer Ablehnung durch Abgeordnete der SPD dieser vorwerfen zu können, sie sei unglaubwürdig. Ebenso gern befleißigten sich Politiker der Linkspartei, die Sozialdemokraten daran zu erinnern, dass im Parlament eine rot-rot-grüne Mehrheit besteht, die jetzt, da ohnehin Wahlkampf ist, nicht zu nutzen zum Beleg dafür werde, wie wenig ernst es die SPD doch mit den Forderungen meine, die auch die Linkspartei für unterstützenswert hält.

Nun könnte man darüber streiten, welche Wirkung ein solches parteipolitisches Keulchen noch entfaltet, wenn es schon ungezählte Male geschwenkt wurde. Man kann sich darüber befragen, ob in der politrhetorischen Mitte-Links-Rechnung nicht die Grünen fehlen und was es hieße, wenn man sie mit einbezöge. Man könnte überlegen, ob das Vorführen der SPD überhaupt sinnvoll ist, wo es doch der Linkspartei offenbar kein Plus an Zustimmung bringt. Oder man könnte den Ball mit der Frage an diese zurückspielen, was diese denn tun würde, wenn zum Beispiel die AfD gleichlautende Forderungen der Linkspartei in ein Parlament einbrächte.

Man könnte aber auch die Ebene des parteipolitischen Fingerhakelns kurz verlassen und sich über zwei Probleme beugen. Das erste hat mit der Üblichkeit zu tun, mit der in Koalitionsverträgen verabredet wird, dass die Fraktionen der Partner stets »einheitlich« abstimmen und wechselnde Mehrheiten »ausgeschlossen« sind, wie es etwa im Ehebuch von Union und SPD heißt. Positiv abgewonnen wird dem stets, dass so für eine gewisse Stabilität gesorgt wird, doch das bezieht die negativen Folgen nicht mit ein: Der parlamentarische Streit wird depolisiert, Abgeordnete zu lediglich ausführenden Organen machtpolitischer Zirkel gemacht, die auch noch weitgehend identisch mit jener Regierung sind, die vom Parlament ja eigentlich kontrolliert werden soll.

Das zweite Problem hat wiederum mit der SPD zu tun: Im Streit um das von der Union namens des Unternehmerlagers abgelehnte Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeitarbeit warf Martin Schulz der Kanzlerin vor, den Koalitionsvertrag gebrochen zu haben. Danach kam: nichts mehr. Außer ein Tweet von Linksparteichef Bernd Riexinger, die SPD solle doch einfach ihr Begehr in den Bundestag einbringen, dort gebe es ja eine rot-rot-grüne Mehrheit. Siehe oben.

Doch warum dabei stehen bleiben? Wenn es diese Mehrheit gibt, könnte Schulz wenigstens vor der Wahl im Herbst Kanzler werden – über ein konstruktives Misstrauensvotum. Das gab es schon, und eine solcherart zustande gekommene Regierung wäre auch nicht weniger legitimiert als andere. Appelle in diese Richtung hat es seitens der Linkspartei auch bereits gegeben, doch um die parteipolitische Belastbarkeit eines solchen Schachzuges soll es hier nicht gehen. Auch nicht darum, ob die Sozialdemokraten dafür zu wenig Machtinstinkt haben oder es ihnen an Mut fehlt.

Sondern um eine demokratiepolitische Frage.

Auf die hat der Berliner Verfassungsrechtler Florian Meinel hingewiesen: Ist »eine Regierung, die sich einem Koalitionswechsel innerhalb einer Legislaturperiode verdankt, heute überhaupt noch in der Weise denkbar«? Was bedeutet es, wenn eine die besondere Rolle des Parlaments betonende Befugnis in der Praxis nicht mehr überprüft wird, ja: in den Parteien nicht einmal mehr ernsthaft erwogen? Und was hat das womöglich mit Großen Koalitionen zu tun, dass der Bundestag eher schwach wirkt?

Es geht hier letzten Endes um die Autorität des Parlaments, seine Rolle gegenüber der Regierung, um einen Eckpfeiler des demokratischen Hauses. Es geht auch um Alternativmöglichkeiten, denn ein konstruktives Misstrauensvotum, so hat es das Bundesverfassungsgericht 1983 formuliert, »besagt nur, dass die Mehrheit der Abgeordneten nicht mehr gewillt ist, den bisherigen Kanzler oder sein Regierungsprogramm weiterhin parlamentarisch zu unterstützen oder wenigstens zu dulden«.

Für Grüne und Linkspartei darf das angenommen werden. Die SPD immerhin redet so. Schulz hat der Union vorgehalten, »zu einem Ende der geordneten Zusammenarbeit in der Koalition kommen« zu wollen. Warum nimmt er den Ball nicht auf? Ein paar Gesetze ließen sich bis zur Wahl im Herbst beschließen. Wichtiger aber noch: Das Parlament hätte gezeigt, dass es nicht bloß »geräuschlose Legalisierungsagentur« von Regierungspolitik ist.

Das, da liegt Meinel richtig, hat dann aber doch wieder etwas mit Mut zu tun. Nicht nur dem der Sozialdemokraten. Auch andere müssten dann ja beweisen, dass sie nicht nur reden – und sich bei erster echter »Gefahr« wieder ins wohlige Versteck der Oppositionsbänke zurückziehen.

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